d) Zwischen Inklusion und Exklusion: Soziokulturelle Diversität im Betrieb
Wenn von der Segmentierung der Belegschaft die Rede ist, so müssen an dieser Stelle
noch einmal verschiedene Migrationsfolgeerscheinungen in die Diskussion mitein-
bezogen werden. Für die luxemburgische Schwerindustrie im Allgemeinen wie für das
Düdelinger Hüttenwerk im Besonderen wurde bereits ausführlich die Bedeutung der
Zuwanderung thematisiert. Die luxemburgische Industrie war mit zunehmender Expan¬
sion auf die Rekrutierung ausländischer Arbeitskräfte angewiesen, da der einheimische
Arbeitsmarkt den gestiegenen Bedarf an Arbeitskräften nicht decken konnte. Resultat
war eine verstärkte Einwanderung aus den Nachbarstaaten, aber auch eine beachtliche
Fernmigration, was sich in der Struktur der Hüttenbelegschaften niederschlug. Zur Er¬
innerung sollen noch einmal einige Daten zu Düdelingen rekapituliert werden: Gemäß
einer Werksstatistik von Oktober 1913 arbeiteten zu diesem Zeitpunkt 1.156 Luxembur¬
ger (31,3 %), 586 Italiener (26,5 %), 368 Deutsche (16,7 %), 44 Belgier (2 %), 24 Franzosen
(1,1%) sowie 32 unter „sonstige“ subsumierte Vertreter anderer Nationalitäten (1,4%)
auf der Düdelinger Hütte.2'1 Unter letztgenannter Rubrik dürften sich auch einige Ost-
und Südosteuropäer befunden haben, tauchten doch beispielsweise in der Stammrolle
von 1901 einige wenige Russen, Polen, Ungarn und aus der Balkanregion stammende
Arbeitsmigranten auf. Auch Schweizer und Österreicher waren 1901 auf der Hütte an-
zutreffen, wenn auch nur in marginalem Umfang.258 Die nationale und soziokulturelle
Diversität wirkte auch während der Zwischenkriegszeit, wenigstens in den Jahren der
wirtschaftlichen Erholung, fort, fanden sich doch in einer Stichprobe aus den Stamm¬
rollen des Hochkonjunkturjahres 1929 unter 1.388 erfassten Arbeitern immerhin 278 Ita¬
liener (20 %), по Deutsche (7,9 %), 46 Franzosen (3,3 %), 35 Polen (2,3 %) und - dies ist
sicherlich eine ,saisonale‘ Sondererscheinung - 326 Jugoslawen beziehungsweise Serben
(23,3 %). Insgesamt waren also gut 60 Prozent der in der Stichprobe berücksichtigten Ar¬
beiter Nicht-Luxemburger. ■bt)
Es wäre verfehlt, sich die landsmannschaftlichen ,Blöcke1 allzu homogen vorzustel¬
len. In der Stammrolle von 1901 werden unter 6.808 Einträgen gerade mal sechs Arbeiter
als „Deutsche“ geführt, daneben aber 624 als „Preußen“, neun als „Bayern“, jeweils zwei
als „Württemberger“ und „Pfälzer“ sowie einer als „Badener“.* 260 Die Gruppe der Preu¬
ßen war unter sich ebenfalls ausdifferenziert. Die landsmannschaftliche Segmentierung
reichte insgesamt noch viel weiter, als es die generalisierenden Nationalitätszuweisungen
suggerieren. Zwar gilt das 19. Jahrhundert als Jahrhundert der Nationalismen, aber die
.innere Nationalstaatsgründung4, wozu nicht zuletzt die Translation der nationalen Idee
von den gesellschaftlichen Funktionseliten auf die breite Bevölkerung zählte, war auch
Daten nach AnLux, ADU-U1-93.
2,8 Angaben nach AnLux, ADU-U1-113.
Daten nach AnLux, ADU-U1-135/1; AnLux, ADU-U1-135/2; AnLux, ADU-Ui'135/3.
"Nl Siehe AnLux, ADU-U1-113, Buchstaben В, P und Sch. Die 283 Elsass-Lothringer stellen sicher einen
Sonderfall dar.
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