sich durch die gleichzeitige Agglomeration von Kapital, Produktionsmitteln und Ar¬
beitskräften aus. Für den Arbeiter bedeutete dies eine klare Scheidung von Lebenswelt
und Arbeitsstätte, zumeist auch eine Trennung von der Familie während der Arbeits¬
zeit.4 Die widrigen Bedingungen der vorindustriellen Arbeit konnten mitunter durch
die gegenseitige Hilfestellung innerhalb des Familienverbands kompensiert werden. Mit
dem Eintritt in die Fabrik änderte sich dies. Wenn der Arbeiter das Fabriktor passierte,
betrat er eine fremde Welt, die partiell autonomen Regeln folgte. Generell gilt, dass die
idealtypischen Merkmale industriekapitalistischer Fabrikarbeit desto intensiver ausge¬
prägt waren, je größer der Betrieb war. Freilich existierten neben den so oft im Fokus des
Interesses stehenden Großbetrieben mit mehreren Tausend Beschäftigten, zu denen die
Hüttenwerke von Neunkirchen und Düdelingen zählten, unzählige Klein- und mittel¬
ständische Betriebe, in denen noch lange Zeit handwerkliche Traditionen fortdauerten.'’
Ganz unabhängig von der Größe der einzelnen Unternehmen zeichneten die in¬
dustrielle Fabrikarbeit mehrere signifikante Merkmale aus. Zunächst ist der verstärkte
Einsatz von Maschinen zu nennen, der Folgen für die Arbeitsorganisation, aber auch
für das Selbstverständnis der Produzenten hatte. Die wachsende Bedeutung der Ma¬
schinerie wird in der Sozialgeschichte und der (historischen) Industrie- und Arbeits¬
soziologie häufig mit den Schlagwörtern der „Mechanisierung“ und „Maschinisierung“
umschrieben: Die Optimierung und Proliferation von Maschinen habe, so eine zentrale
These dieser Theoreme, die traditionelle Handarbeit zunehmend verdrängt. Dies habe
sich sowohl auf die Struktur der Fabrikbelegschaften, als auch auf das Bewusstsein der
Arbeiter ausgewirkt: An- und ungelernte Arbeiter hätten zunehmend die handwerklich
qualifizierten Facharbeiter verdrängt, parallel dazu sei der traditionelle ,Produzenten-
stolz' gut ausgebildeter Arbeiter verloren gegangen. Die vermuteten Folgeerscheinun¬
gen von Mechanisierung und Maschinisierung laufen zusammen in der sogenannten
„Dequalifikationsthese“.6
4 Vgl, ebd., S. 18-21; Sauer, Walter: Fremde Arbeit - fremde Häuser. Betriebsstätten und industrielle
Arbeitsorganisation, in: Sauer, Walter (Hrsg.): Der dressierte Arbeiter. Geschichte und Gegenwart
der industriellen Arbeitswelt, München 1984, S. 55-69, hier S. 55-60.
Zum Nebeneinander von Großbetrieben sowie kleinen und mittleren Unternehmen vgl. Kocka
1975, S. 89-96. Allerdings ließ sich gegen Ende des Kaiserreichs doch eine Tendenz hin zum Großbe¬
trieb ausmachen. Vgl. dazu auch Ruppert, Wolfgang: Die Fabrik. Geschichte von Arbeit und Indus¬
trialisierung in Deutschland, München 1983, S. 19 f.
Zu diesen Fragen und Theorien vgl. u. a. Minssen 2006, S. 39-47; Kern/Schumann '1973, S. 221-
2.36; Spiriu-Lausecker, Sylvia: Von der Handarbeit zur Mechanisierung. Die technologische Basis
der Industrieproduktion, in: Sauer, Walter (Hrsg.): Der dressierte Arbeiter. Geschichte und Gegen¬
wart der industriellen Arbeitswelt, München 1984, S. 70-91, bes. S. 79-91. Diese und andere Autoren
arbeiten nur bedingt historisch, d.h. sie haben vor allem die Arbeitswelt im späteren 20. Jahrhundert
im Blick, deren Organisation mit dem Terminus „Automation“ umschrieben wird. Viele der von ih¬
nen diskutierten Fragen, so der Einsatz von Fließbändern und Computertechnologie, spielen tür die
vorliegende Studie keine Rolle, aber die aufgeworfenen Fragestellungen und Theorien lassen sich in
abgeschwächter Form auch auf die Zeit der Industrialisierung applizieren.
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