2.2 Düddingen: Nah-, Binnen- und Fernwanderung
Im Gefolge der Industrialisierung des Minettebezirks entwickelte sich das Großherzog¬
tum Luxem bürg grosso modo von einem Aus- zu einem Einwanderungsland, auch wenn
beide Prozesse sich gegenseitig überlappten.*191 Die rasante industrielle Entwicklung des
Südens und Südwestens wäre ohne die massenhafte Zuwanderung nicht denkbar gewe¬
sen, konnte doch das bevölkerungsarme Land seinen Arbeitskräftebedarf alleine nicht
decken. Luxemburg kennzeichnete vor allem das Nebeneinander verschiedener Migra¬
tionsformen. Zwar stand die Fernmigration, besonders diejenige der Italiener, stets im
Fokus der Forschung, aber sie machte eben nur einen Teil der Migrationsbewegungen
aus. Daneben wanderten auch Menschen aus den agrarischen Gebieten des Großher¬
zogtums sowie aus den Nachbarstaaten Deutschland, Frankreich und Belgien in den
Süden des Landes. Außerdem fand ein reger Bevölkerungsaustausch innerhalb des Mi¬
nettereviers statt.
In einem neueren Forschungsüberblick zur luxemburgischen Migrationshistorio¬
graphie charakterisiert Denis Scuto die innerluxemburgischen Wanderungsbewegun¬
gen als „un phénomène peu analysé jusqua aujourd’hui“.491 492 * Das von Scuto und ande¬
ren formulierte Desiderat"193 wurde von Jean Lamesch in einer nicht veröffentlichten
Studie aufgegriffen, in welcher er auf der Basis der Volkszählungen von 1895 und 1900
eine Strukturanalyse der Industriestädte Düdelingen, Esch, Differdingen und Riime-
lingen durchführt.49"11895 wurden demnach in Düdelingen 6.822 Personen gezählt, da¬
von waren nicht weniger als 4.445, das sind 65,2 Prozent, Luxemburger. 1900 lag der
autochthone Anteil der Düdelinger Bevölkerung zwar nur noch bei 58 Prozent (5.092
von 8.782 ausgezählten Personen), aber die Luxemburger stellten weiterhin die deutlich
stärkste Landsmannschaft. In den drei anderen Gemeinden lag der Anteil der Luxem¬
burger zu dieser Zeit zwar etwas höher, das dürfte aber damit Zusammenhängen, dass
das Düdelinger Hüttenwerk eine gewisse Pionierstellung im Minettebassin hatte, also
schon früher auf mehr ausländische Arbeitskräfte angewiesen war.49'’ Es ist nicht anzu¬
491 Vgl. Pauly 1985, S. 14.
492 Scuto 2008, S. 393.
'11 Das Faktum der luxemburgischen Binnenwanderung ist durchaus schon lange bekannt, hieß es doch
schon in einer luxemburgischen Geschichtsdarstellung aus dem Jahr 1940: „Aus den Bauernkantonen
im Osling und Gutland begann die Abwanderung in die Industrieorte des Südens, die sich rasch 7.11
kleinen Städten entwickelten.“ Siehe Meyers, Josef: Geschichte Luxemburgs, Luxemburg 1940, S. 224.
Lamesch, Jean: Etude démographique du bassin minier luxembourgeois à travers les recensements
de 1895 et de 1900, o. O. 2006 [nicht veröffentlicht]. Eine Ausgabe befindet sich im CDMH. Lamesch
weist auf den recht einseitigen Zugang der Migrationsforschung hin, wenn er schreibt: „Le phénomène
de l’immigration au grand duché de Luxembourg a fait l’objet de travaux assez complets, qui ont en
général privilégié l’étude des immigrés étrangers au dépens de celles des immigrés intérieurs. [...] Voilà
pourquoi il sera intéressant d’exploiter les recensements dans le but de cerner plus en détail cette secon¬
de catégorie!1 Siehe ebd., S. 10.
111 Alle Daten ebd., S. 3.
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