Praktik. 3. Philosophie der Erziehung.
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§ 214. Doch ist darum der Stufengang der Willenent¬
wickelung doch nicht zu überspringen. Es braucht aber dabei
nicht verweilt zu werden; es ist genug, die Hauptstufen ein¬
fach zu nennen. Das Erste (ich nannte es früher ,,Trieb“)
ist in Wahrheit die Unmittelbarkeit des ganz von Innen kom¬
menden reinen, fraglosen ,,Ich soll"; dessen Unbefangenheit
im unverstellten und unverkrampften kindlichen Wollen
laut für seine ursprüngliche Reinheit zeugt. Das Zweite ist,
was als Schulung des Willens schon berührt wurde; das Dritte
aber die Selbstkritik des Willens aus dem sich über sich selbst
klar gewordenen Urwillen der Einheit der Zielrichtung, d. h.
der Idee; Kants „praktische Vernunft"; ich nannte es früher
Vernunft willen. Darin ist nicht mehr bloß Methode und
Gesetz, sondern Selbstrechenschaft, Selbstverantwortung.
So ergibt sich, zunächst in den Richtungen des Verstehens
und Wollens (der Theorie und der Praxis) der formale Aufbau
des Menschen, und zwar (auch das bedarf jetzt keiner Be¬
gründung weiter) als in der Geschichte sich einfügend; woraus
die Erziehungsbedeutung der Geschichte unmittelbar folgt.
Geschichtlich ist nicht nur das Praktische, wohl aber alles
Praktische.
Ist nun das Dritte, auf das wir uns immer wieder hinaus¬
geführt sehen, welches wir Schöpfung nannten, überhaupt
noch zur Erziehung zu rechnen, nachdem wir doch diese als
die dritte Phase des Praktischen eingeordnet haben? Viel¬
leicht ist es ratsam, die Beschränkung des Namens Erziehung
aufs Praktische unmittelbar, und mittelbar aufs Theore¬
tische (für welches zwar „Lehre" der zutreffendere Aus¬
druck ist) beizubehalten, dagegen für den Anteil der Poiesis
an der Menschwerdung des Menschen den innerlicheren Na¬
men „Bildung" zu gebrauchen; Bildung, die gerade dann
ganz bestimmt und ausschließlich als Individuierung zu ver¬
stehen ist. Sie bedeutet nicht mehr nur Autonomie und Auto-
telie, sondern Autopöie, Selbstschöpfung. Das ist nicht
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