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Kap. VII. § 144.
immer stillschweigende Voraussetzung gewesen, ohne die der
Mut, das oft waghalsige Selbstvertrauen der Handlung nicht
zu verstehen wäre. Denn auch die kühnste Zuversicht des
Handelns muß doch das, was sie sich vornimmt und wofür sie
alles einsetzt, für überhaupt möglich, für an sich erreichbar
halten, also auch voraussetzen, daß der Möglichkeitsgrund
dafür vorhanden sei.
Dann aber wird die Handlung, wenn sie nicht bloß mutig,
sondern auch vernünftig sein will, auch stets Sorge tragen
müssen, ihren Möglichkeitsgrund in seinem Bestände, auf den
sie so wesentlich angewiesen ist und immer angewiesen bleibt,
unversehrt auf gleicher Höhe zu erhalten, womöglich aber zu
steigern, da sie doch auch sich selbst fort und fort zu steigern
den Drang, ja den Zwang einer inneren Notwendigkeit in sich
spürt. Die Analogie der Substanz im Natursinn (der Energie¬
erhaltung) liegt nahe genug; aber es zeigt sich sofort auch der
scharfe Unterschied, nämlich in dem durchaus nur statischen
Sinne der Substanz der Naturvorgänge, die als ebensowenig
zu vermehrender wie zu vermindernder Fonds angenommen
wird, aus dem die Naturvorgänge sich speisen müssen. Für
das Bedürfnis eben der Theorie ist es so gefordert, um die
Naturvorgänge in unveränderlicher Gesetzlichkeit darstellbar
zu machen. Die Substanzgrundlage des Naturgeschehens
muß konstant gedacht werden, damit eine Rechnung der
Natur auf gestellt werden kann. Sie kann nur rechnen mit
einem festen Grundbestände, oder wenn auch mit einem be¬
weglichen, dann einem wiederum nur nach festem Gesetz ver¬
änderlichen Bestände. Anders die Praxis. Die Möglichkeits¬
grundlage für sie ist zwar für die einzelne Berechnung (denn
auch die Praxis rechnet) auch als festbleibend anzunehmen;
aber die Praxis selbst weiß sehr wohl, sie bleibt nicht fest, sie
darf gar nicht fest bleiben, sie soll vielmehr sich beständig
steigern, um für die niemals in feste Schranken sich ein¬
schließenden, sondern stets sich selbst steigernden, ins Un¬