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Kap. I. § 10.
so ergibt sich daraus die große Folgerung, daß der ganze
mittlere Bereich, der Bereich der Notwende, der Bereich der
Differenzierung, der immer weitergehenden Entwicklung ins
Unendliche hinaus, eben Wirklichkeit nicht erreicht.
Denn es ist der Bereich des Widerspruchs. Von Dasein
mag da geredet werden, von Existenz, was ja wörtlich
,,Heraustreten“ bedeutet, heraus eben aus der überend¬
lichem Einheit in die endliche, endlos nur endliche Man¬
nigfaltigkeit eben des Da- und nicht Dort-, Jetzt- und nicht
Dann-Seins. Oder allenfalls von Tatsächlichkeit; obgleich
auch die echte Tat und die echte Sache (wie wir schon
jetzt voraussehen, künftig näher zu betrachten haben
werden) hier eigentlich nicht einheimisch ist. Aber aller¬
dings das nur Faktische, bloß Geschehene und weiter
Geschehende hat hier seine Stelle, und das pflegt unter „Tat¬
sache“ verstanden zu werden. Indessen tut man besser, von
„Wirklichkeit“ des Widerspruchs nicht zu reden, denn Wirk¬
lichkeit besagt unbedingt Ja-Sein und ist mit Widerspruch
unverträglich. In der Wirklichkeit steht freilich alles, auch
die Möglichkeit und die Notwendigkeit; also auch der Wider¬
spruch, der mit diesen beiden ja unlöslich verquickt ist;
der Widerspruch ebensowohl wie seine Überwindung; das
Nein wie das Ja, Mannigfaltiges wie Einheit, der Streit wie
der Ausgleich. Aber sie selbst, die Wirklichkeit, ist über
dem allen, sie verdankt dem allen nichts, sondern jenes alles
wird zuletzt ihr verdankt.
Untriftig erweist es sich damit auch von dieser Seite,
Wirklichkeit zwischen Mögüchkeit und Notwendigkeit in
die Mitte zu stellen (wie Kant tut). Sondern Möglichkeit
und Notwendigkeit stehen, als Auch-nicht-sein-können und
Nicht-auch-nicht-sein-können unmittelbar gegeneinander und
damit engstens zusammen; sie haben nichts zwischen sich;
Wirklichkeit aber liegt oberhalb alles bloßen Könnens. Sie
ist schlechthin über aller Bedingtheit, aller bloß bedingten