Full text: Mythus und Kultur

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Mythus und Kultur 
Prozeß dar, daß hier, vergleichsweise stärker als bei 
den Absolutisten des Logos oder bei denen der Bil¬ 
dungsidee oder bei denen der Kunst, die Grenze zwi¬ 
schen Erscheinung und Idee wie aufgehoben ist. 
Deshalb löst sich und erlischt bei ihnen die Spannung 
zwischen Absolutem und Relativem; der Symbol¬ 
charakter und Gleichniswert alles Seienden tritt in 
ihrem Glauben bereits wieder als eine Seinsgestalt 
hervor und formt sich für sie zu geschichtlicher Wirk¬ 
lichkeit. In ihnen wird die Religion und die religiöse 
Absolutheit gleichsam Fleisch und Blut, sie wird zur 
religiösen Person, sie verdichtet sich zu einer sinn¬ 
fälligen, konkreten und doch über alle menschlichen 
Schranken erhabenen Gestalt. Sie wandeln in einer 
Sphäre, die ebenso jenseits der Zone der Erscheinungen 
und bereits im Reiche der Erfüllung als auch sozusagen 
diesseits alles Jenseitß liegt. Die Zweifel, von denen 
sie heimgesucht werden, ruhen auf dem Grunde der 
Gewißheit; ihre endliche Existenz weiß sich mit un¬ 
erschütterlicher Sicherheit, so oft auch sie vor dem 
Sturz in das Nichts zu stehen scheinen, bereits in aller 
ihrer Empirie im Unbedingten geborgen. Aber dieses 
Wissen ist kein intellektueller Vorgang, sondern eine 
persönliche Seligkeit; jedeVerrichtung, auch die äußer¬ 
lichste, hat bei ihnen den Sinn einer Kulthandlung und 
erhebtsichzurBedeutungeinesGleichnissesundMythus. 
Deshalb ist es auch kein Zufall oder Wunder, daß es 
gerade ihr Leben und ihr Schicksal sind, die so leicht 
und so gern in das Licht des Mythus und der Legende 
gerückt werden und so schnell und bequem den Cha¬ 
rakter des Mythus und der Legende annehmen. Über¬ 
haupt ruht der Sinn jeder geschichtlichen Leistung, 
wie schon oben angedeutet wurde, in der Übersteige¬ 
rung des geschichtlichen Bestandes zur Intelligibilität 
und Ewigkeit irgendeines Wertes. Diese Übersteige¬ 
rung läßt sich an sich auch an dem Philosophen-
	        
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