34
Mythus und Kultur
Liebe, der Freundschaft, der Verehrung, der Pietät,
der wertschaffenden Arbeit ihren objektiven Nieder¬
schlag und ihre befreiende Verwirklichung finden. In
ihnen allen kann die Kraft des Mythus wirksam werden
u. z. in jenem, in den vorangehenden Zeilen entwickel¬
ten Sinne: Überwindung der empirisch-psychologi¬
schen Gegenständlichkeit einer Handlung oder eines
Vorganges durch die Anknüpfung an ein Absolutes,
wodurch jene Handlung oder jener Vorgang über ihre
empirische Tatsächlichkeit hinausweisen und den Wert
von Symbolen gewinnen. Ohne die transzendierende
Wirksamkeit des Mythus bleiben wir rettungslos der
Zone der bloßen Erscheinungen verfallen, gibt es keine
Erhebung zum Reiche der Ideen. Daraus also ergibt
sich, was noch einmal zu sagen gestattet sein mag, daß
der Mythus nicht als ein subjektiv-empirisches Vor¬
stellungsgebilde aufzufassen ist, dem man mit der
Betrachtungsweise der üblichen, naturwissenschaftlich
orientierten Psychologie nahekommen könnte. Es gilt
vielmehr, ihn als dasjenige Sinngebilde zu be¬
greifen, in dem die intelligibele Freiheit als
Urtat des Menschen ihre allgemeinste Be¬
kundung ausübt.
Und als diese allgemeinste Bekundung ist er nun in
allen besonderen Sinngefügen der Kultur wirksam.
Er ist gleichsam ihrer aller Grundzug, der es ihnen er¬
möglicht, mehr als nur empirische Vollzüge in dem Be¬
wußtsein der Menschen zu sein. Daß die Idee der
Freiheit in die Sphäre irgendeiner empirischen Be¬
tätigung einstrahlt und in dieser eine metaphysische
Wendung hervorruft, beruht auf der Funktion jener
konstruktiven Sinndeutungen des Lebens, die wir
Mythus nennen.
So ist denn auch der ewige Sinn des Mythus nur
aus der einen oder der anderen der ihm möglichen und
gewährten symbolischen Verkörperungen annähernd