Leben in doppeltem Sinne verstanden wird, so kann es
sich hier nur um das aktuell oder wirklich tätige Leben,
als das offenbar Wichtigere, handeln.
Wenn aber das eigentümliche Werk und die eigentüm¬
liche Verrichtung des Menschen in vernünftiger oder der
Vernunft nicht entbehrender Tätigkeit der Seele besteht,
und wenn uns die Verrichtung eines Tätigen und die
Verrichtung eines tüchtigen Tätigen als der Art nach
dieselbe gilt, z. B. das Spiel des Zitherspielers und des
guten Zitherspielers, und so überhaupt in allen Fällen,
indem wir zu der Verrichtung noch das Merkmal über¬
wiegender Tugend oder Tüchtigkeit hinzusetzen und als
die Leistung des Zitherspielers das Spielen, als die
Leistung des guten Zitherspielers aber das gute Zither¬
spiel bezeichnen, wenn, sagen wir, dem so ist, und wir
als die eigentümliche Verrichtung des Menschen ein ge¬
wisses Leben ansehen, nämlich mit Vernunft verbundene
Tätigkeit der Seele und entsprechendes Handeln, als die
Verrichtung des guten Menschen aber eben dieses nur
mit dem Zusatze: gut und recht — wenn endlich als gut
gilt, was der eigentümlichen Tugend oder Tüchtigkeit
des Tätigen gemäß ausgeführt wird, so bekommen wir
nach alle dem das Ergebnis: das menschliche Gut
ist der Tugend gemäße Tätigkeit der Seele,
und gibt es mehrere Tugenden: der besten und voll¬
kommensten Tugend gemäße Tätigkeit. Dazu
muß aber noch kommen, daß dies ein volles Leben hin¬
durch dauert; denn wie eine Schwalbe und ein Tag noch
keinen Sommer macht, so macht auch ein Tag oder eine
kurze Zeit noch niemanden glücklich und selig.
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