Fehler in dieser Beziehung darin bestehen, daß das rechte
Maß nicht erreicht oder überschritten wird.
Deshalb ist die Tugend nach ihrer Substanz und ihrem
Wesensbegriff Mitte; insofern sie aber das Beste ist und
alles gut ausführt, ist sie Äußerstes und Ende.
Doch faßt nicht jede Handlung oder jeder Affekt eine
Mitte, da sowohl manche Affekte, wie Schadenfreude,
Schamlosigkeit und Neid, als auch manche Handlungen,
wie Ehebruch, Diebstahl und Mord, schon ihrem Namen
nach die Schlechtigkeiten in sich schließen. Denn alles
dieses und ähnliches wird darum getadelt, weil es selbst
schlecht ist, nicht sein Zuviel und Zuwenig. Demnach gibt
es hier nie ein richtiges Verhalten, sondern immer lediglich
ein verkehrtes, und das Gute und Schlechte liegt bei
solchen Dingen nicht in den Umständen, wie wenn es sich
z. B. beim Ehebruch darum fragte, mit wem und wann
und wie er erlaubt sei, sondern es ist überhaupt gefehlt,
irgend etwas derartiges zu tun. Ebensowenig nun darf
man bei der Ungerechtigkeit, Feigheit und Zuchtlosigkeit
nach einer Mitte oder nach einem Zuviel oder Zuwenig
fragen. Denn so bekämen wir eine Mitte des Zuviel und
Zuwenig und ein Zuviel des Zuviel und ein Zuwenig des
Zuwenig. Wie es vielmehr bei der Mäßigkeit und dem
Starkmut kein Zuviel und Zuwenig gibt, weil die Mitte
gewissermaßen Ende und Äußerstes ist, so gibt es auch
in jenen Dingen keine Mitte und kein Zuviel und Zuwenig,
sondern wie man sie auch tun mag, immer ist es gefehlt.
Denn es gibt beim Zuviel und Zuwenig überhaupt keine
Mitte, wie bei der Mitte kein Zuviel und Zuwenig.
Dies ist aber nicht nur so allgemein aufzustellen, son¬
dern auch ins einzelne zu verfolgen. In den Erörterungen,
die das Handeln betreffen, sind die allgemeinen Sätze
am leersten, während die partikulären einen größeren
Inhalt an Wahrheit haben. Denn die Handlungen bewe¬
gen sich um das einzelne, und mit ihm müssen die Be¬
hauptungen übereinstimmen. Dieses einzelne wollen wir
aus der Einteilung entnehmen.
Bei den Affekten der Furcht und der Zuversicht ist der
Mut die Mitte. Wer hier durch Übermaß fehlt, hat, wenn
es durch Furchtlosigkeit geschieht, keinen besonderen
Namen — wie denn so manches keine eigene Benennung
hat —, geschieht es aber durch ein Übermaß von Zuver-
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