XXI.
Natorp1
{geb. 1854).
§ 6.
Das Gebiet des Willens: praktische Erkenntnis
oder Idee.
Nicht aus dem Zusammenhänge der Naturbegriffe läßt S. 34—47
ein Sollen im praktischen Sinn sich verständlich machen.
Natur ist Ordnung des Geschehens unter Zeitgesetzen des
Geschehens. Da giebt es nur Tatsachen und Zusammen¬
hänge von Tatsachen, durch logische Unterordnung
einzelner Folgen von Ereignissen unter allgemeine und
allgemeinere, d. i. unter Gesetze. Auch die so erreichte
Einheit der Erkenntnis ruht zwar auf keinem andern
letzten Grunde als dem der ursprünglichen Einheit des
Bewußtseins. Aber die Einheit empirischer Erkennt¬
nisse, vollends der gesamten Erfahrungserkenntnis, ist
jederzeit unvollendet und unvollendbar. Man denkt zwar
Natur als vollkommene Einheit; aber dieser Gedanke
geht über die reine Tatsächlichkeit, und über die allein
berechtigte Methode der Tatsachenforschung, die Er¬
fahrung, ganz hinaus. Es ist immer noch Natur, was man
so denkt; aber es ist nicht mehr Naturerkenntnis, sondern
bloß der ideale Entwurf einer Natur, wie sie in Voll¬
ständigkeit erkannt sein würde — wäre nur diese Voll¬
ständigkeit der Erkenntnis methodisch erreichbar.
Es kann also nicht glücken, Gesetze des Wollens in
Naturgesetzen zu gründen, Naturgesetzen der Lust und
Unlust etwa, oder des Begehrens. Denn was man auch
immer als Bewegkraft des Willens ansetzen mag, den
Lusttrieb, den Trieb überhaupt, oder was man sonst auf¬
stelle, in jedem Falle denkt man diese Bewegkraft analog
1 Abdruck aus der „Sozialpädagogik. Theorie der Willeus¬
erziehung auf der Grundlage der Gemeinschaft." Stuttgart,
Fr. Frommanns Verlag, 1899. S. 34—47, S. 68—80 u. S.83—88.
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