wird. Das Individuum als solches findet also die Er¬
lösung, deren es fähig ist, ganz von selbst im Laufe der
Natur; die Welt aber findet sie nur durch die Beendigung
des Weltprozesses, d. h. durch die Erlösung des Abso¬
luten vermittelst der Erfüllung des Weltzweckes. Sonach
kann Gott die Welt nur erlösen, indem er durch sie er¬
löst wird; sie als Welt kann er nicht erlösen, ohne sich
selbst zu erlösen. Ebensowenig kann Gott mich als
individuelle Persönlichkeit erlösen: denn sofern ich Er¬
scheinung bin, bedarf ich keiner Erlösung; sofern ich
aber Wesen, bin ich Er selbst, und kann er mich nur da¬
durch erlösen, daß er sich selbst erlöst. Wohl aber kann
ich Gott erlösen helfen, d. h. an dem Weltprozeß, der
seine Erlösung herbeiführen soll, im positiven Sinne mit-
wirken. Sofern ich im allgemeinen den Typus einer ver¬
nünftigen, selbstbewußten und sittlichen Persönlichkeit,
im besonderen den Typus eines zum Moralprinzip der
Erlösung vorgedrungenen sittlichen Bewußtseins dar¬
stelle, bin ich berechtigt, zu sagen: nur durch mich
und meinesgleichen kann Gott erlöst werden. Mit andern
Worten heißt dies: nur durch den Aufbau einer sittlichen
Weltordnung von seiten vernünftiger selbstbewußter In¬
dividuen kann der Weltprozeß seinem Ziel entgegen¬
geführt und nur durch schließliches Bewußtwerden der
negativen absolut-eudämonistischen Bedeutung dieses
Zieles kann dasselbe wirklich erreicht werden. Darum
haben wir die Phänomenologie des sittlichen Bewußt¬
seins mit dem Satze zu schließen:
Das reale Dasein ist die Inkarnation der Gottheit, der
Weltprozeß die Passionsgeschichte des fleischgewordenen
Gottes und zugleich der Weg zur Erlösung des im Fleische
Gekreuzigten; die Sittlichkeit aber ist die Mit¬
arbeit an der Abkürzung dieses Leidens- und
Erlösungsweges.
245