XIX.
E. v. Hartmann1
(1842—1906).
Das absolute Moralprinzip oder das Moralprinzip
der absoluten Teleologie als der des eigenenWesens.
Auf der ersten Vorstufe des sittlichen Bewußtseins hatte
der Individualwille sich schlechthin natürlich verhalten:
d. h. er hatte seine Zwecke verfolgt und die Erhebung
von der Natur zur Sittlichkeit darin gesucht, die ihm
dienlichen Mittel richtig und verständig zu wählen; daran
war er gescheitert. Auf der zweiten Vorstufe des sitt¬
lichen Bewußtseins hatte der Individualwille die Er¬
hebung von der Natürlichkeit zur Sittlichkeit darin ge¬
sucht, daß er nicht mehr seinen eigenen, sondern fremden,
heteronomen Zwecken diente; aber diese Stellungnahme
erwies sich als ein schon darum nicht zur Sittlichkeit
führender Irrweg, weil der Wille sich dabei in zugleich
widersittlicher und widernatürlicher Weise seiner Selbst¬
bestimmung und Selbstgesetzgebung entäußerte. So war
echte Sittlichkeit auf die autonome Verfolgung von
nicht egoistischen Zwecken eingeschränkt worden.
Auf der ersten Stufe des echten sittlichen Bewußtseins
entfaltete alsdann der Individualwille alle diejenigen
Richtungen seines instinktiven Trieblebens, durch welche
Zwecke gefördert wurden, die über den egoistischen
Individualzweck hinauslagen; auf der zweiten Stufe
faßte er die autonom verfolgten überegoistischen oder
transindividuellen Zwecke zu objektiven Zielen der Sitt¬
lichkeit zusammen: in der stillschweigenden Voraus¬
setzung, daß die so gewonnenen sittlichen Ideen bei
normal organisierten Menschen auf Grund der Gesamt¬
heit aller instinktiven sittlichen Triebfedern sowohl der
1 Abgedruckt aus „Phänomenologie des sittlichen Bewußt¬
seins“, 3. Aufl. S. 655—685. Verlag Volksverband der Bücher¬
freunde, Berlin 1922.
1. 655—683
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