cipium individuationis durchschauend, das Wesen der
Dinge an sich und dadurch das Ganze erkennt, ist solchen
Trostes nicht mehr empfänglich: er sieht sich an allen
Stellen zugleich, und tritt heraus, — Sein Wille wendet
sich, bejaht nicht mehr sein eigenes, sich in der Erschei¬
nung spiegelndes Wesen, sondern verneint es. Das Phä¬
nomen, wodurch dieses sich kund giebt, ist der Ueber-
gang von der Tugend zur Askesis, Nämlich es genügt
ihm nicht mehr, Andere sich selbst gleich zu lieben und
für sie soviel zu tun, wie für sich; sondern es entsteht
in ihm ein Abscheu vor dem Wesen, dessen Ausdruck
seine eigene Erscheinung ist, dem Willen zum Leben,
dem Kern und Wesen jener als jammervoll erkannten
Welt. Er verleugnet daher eben dieses in ihm erschei¬
nende und schon durch seinen Leib ausgedrückte Wesen,
und sein Tun straft jetzt seine Erscheinung Lügen,
tritt in offenen Widerspruch mit derselben. Wesentlich
nichts Anderes, als Erscheinung des Willens, hört er auf,
irgend etwas zu wollen, hütet sich seinen Willen an irgend
etwas zu hängen, sucht die größte Gleichgültigkeit gegen
alle Dinge in sich zu befestigen. — Sein Leib, gesund
und stark, spricht durch Genitalien den Geschlechts¬
trieb aus; aber er verneint den Willen und straft den
Leib Lügen: er will keine Geschlechtsbefriedigung, unter
keiner Bedingung. Freiwillige, vollkommene Keuschheit
ist der erste Schritt in der Askese oder der Verneinung
des Willens zum Leben. Sie verneint dadurch die über
das individuelle Leben hinausgehende Bejahung des
Willens und giebt damit die Anzeige, daß mit dem Leben
dieses Leibes auch der Wille, dessen Erscheinung er ist,
sich aufhebt. Die Natur, immer wahr und naiv, sagt
aus, daß, wenn diese Maxime allgemein würde, das
Menschengeschlecht ausstürbe: und nach Dem, was im
zweiten Buch über den Zusammenhang aller Willens-
erscheinungen gesagt ist, glaube ich annehmen zu kön¬
nen, daß mit der höchsten Willenserscheinung auch der
schwächere Wiederschein derselben, die Tierheit, weg¬
fallen würde; wie mit dem vollen Lichte auch die Halb¬
schatten verschwinden. Mit gänzlicher Aufhebung der
Erkenntnis schwände dann auch von selbst die übrige
Welt in Nichts; da ohne Subjekt kein Objekt.
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