Full text: Ethik

durch Verbindung zu vervielfältigen strebt. Was hier 
gleichsam die Verknüpfung der Vergangenheit und der 
Zukunft mit der Gegenwart wirkt, das wirkt in der Ge¬ 
sellschaft die Verbindung mit anderen. Denn auch durch 
alle Perioden des Lebens erreicht jeder Mensch dennoch 
nur eine der Vollkommenheiten, welche gleichsam den 
Charakter des ganzen Menschengeschlechts bilden. 
Religion und Sittlichkeit. 
Je mannigfaltiger und eigentümlicher der Mensch sich 
ausbildet, je höher sein Gefühl sich emporschwingt, desto 
leichter richtet sich auch sein Blick von dem engen, 
wechselnden Kreise, der ihn umgibt, auf das hin, dessen 
Unendlichkeit und Einheit den Grund jener Schranken 
und jenes Wechsels enthält, er mag nun ein solches Wesen 
zu finden oder nicht zu finden vermeinen. Je freier ferner 
der Mensch ist, desto selbständiger wird er in sich, und 
desto wohlwollender gegen andere. Nun aber führt nichts 
so der Gottheit zu, Ms wohlwollende Liebe; und macht 
nichts so das Entbehren der Gottheit der Sittlichkeit 
unschädlich, als Selbständigkeit, die Kraft, die sich in 
sich genügt und sich auf sich beschränkt. Je höher end¬ 
lich das Gefühl der Kraft in dem Menschen, je unge¬ 
hemmter jede Äußerung derselben, desto williger sucht 
er ein inneres Band, das ihn leite und führe, und so bleibt 
er der Sittlichkeit hold, es mag nun dies Band ihm Ehr¬ 
furcht und Liebe der Gottheit, oder Belohnung des 
eigenen Selbstgefühls sein. 
Menschenbildung1. 
S. 117 In dem Gemüte des Menschen sind die Anlagen zu 
jeder Art der Kraftäußerung miteinander verwandt, und 
jede einzelne entwickelt sich freier und vollkommener, 
wenn sie durch die verhältnismäßige Ausbildung der 
übrigen unterstützt wird. Von welchem Gegenstände 
man daher immer reden mag, so kann man ihn auf den 
Menschen und zwar auf das Ganze seiner intellek¬ 
tuellen und moralischen Organisation beziehen. Bei jeder 
1 Aus dem Aufsatz „Über Goethes Hermann und Dorothea“, 
W. W. Akad. Ausg. Bd. II, S. 117. 
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