34
Zur Lehre vom Gemüt.
gleich gegeben sind. Setzen wir z. B. den Fall, von einem
teuren Verstorbenen sei uns ein Andenken geworden, bei
dessen Anblick wir in der Tat das, was man „wehmütige
Freude“ nennen kann, spüren. Es ist eine Freude (Lust), die
wir haben, gewiß; aber warum bezeichnen wir sie denn im
Besonderen als eine „wehmütige“? Geschieht dies etwa in
demselben Sinn, in dem wir ein besonderes Bot blaurot
nennen? Keineswegs, denn von Unlust, Schmerz oder Trauer,
ist in dem Augenblicke, da wir Freude an dem Andenken
haben, sicherlich nichts zu finden. Indes die Erinnerung an
den „teuren Verlorenen“ steht dem vor uns liegenden „An¬
denken“, das für das Gefühl dieses Augenblickes, die be¬
sondere Lust, von „maßgebender“ Bedeutung ist, für dieses
Gefühl als mitbedingendes Gegenständliches zur Seite, und
da jene „Erinnerung“, die Vorstellung des Verlorenen, wenn
sie als die „maßgebende“ Bedingung1) aufträte, tatsächlich die
Wehmut, also Unlust, Schmerz bedingen würde, so nennt man
die Freude, für die neben dem maßgebenden Gegenständlichen
auch jene „Erinnerung“ mitbedingend ist, wohl eine „weh¬
mütige“, ohne daß doch behauptet werden dürfte, daß der
Lust an dem Andenken gleichsam als ihr Anhängsel eine
Wehmut, also eine Unlust in diesem Augenblicke mitgegeben
wäre. Wer dieses meint, kann seine Auffassung wiederum
nur aus der Hypothese von dem, an jedes besondere Gegen¬
ständliche des Bewußtseins angeblich „gebundenen, besonderen
Gefühlstone“ begründen: denn zweifellos findet sich in dem
Augenblicke, dem die sogenannte „wehmütige Freude“ zu¬
geschrieben wird, als ein diese Freude mitbedingendes Gegen¬
ständliches jene „Erinnerung“ vor, die allerdings, sobald sie
für das Gefühl eines Augenblickes maßgebend ist, Wehmut
oder Trauer, also Unlust das Zuständliche d. i. das eine ein¬
fache Gefühl dieses Augenblickes sein läßt. Daß aber die
sogenannte „wehmütige Freude“ der Deutung einer Gefühls¬
mischung von Lust und Unlust verfällt, dazu trägt noch
vor allem die Tatsache das ihrige bei, daß in solchen Fällen
meistens ein Augenblick der Freude an dem „Andenken“ mit
b Siehe Rehmke, Lehrbuch der allgem. Psychologie, 2. Aufl., § 37.