Full text: Zur Lehre vom Gemüt

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Zur Lehre vom Gemüt. 
gleich gegeben sind. Setzen wir z. B. den Fall, von einem 
teuren Verstorbenen sei uns ein Andenken geworden, bei 
dessen Anblick wir in der Tat das, was man „wehmütige 
Freude“ nennen kann, spüren. Es ist eine Freude (Lust), die 
wir haben, gewiß; aber warum bezeichnen wir sie denn im 
Besonderen als eine „wehmütige“? Geschieht dies etwa in 
demselben Sinn, in dem wir ein besonderes Bot blaurot 
nennen? Keineswegs, denn von Unlust, Schmerz oder Trauer, 
ist in dem Augenblicke, da wir Freude an dem Andenken 
haben, sicherlich nichts zu finden. Indes die Erinnerung an 
den „teuren Verlorenen“ steht dem vor uns liegenden „An¬ 
denken“, das für das Gefühl dieses Augenblickes, die be¬ 
sondere Lust, von „maßgebender“ Bedeutung ist, für dieses 
Gefühl als mitbedingendes Gegenständliches zur Seite, und 
da jene „Erinnerung“, die Vorstellung des Verlorenen, wenn 
sie als die „maßgebende“ Bedingung1) aufträte, tatsächlich die 
Wehmut, also Unlust, Schmerz bedingen würde, so nennt man 
die Freude, für die neben dem maßgebenden Gegenständlichen 
auch jene „Erinnerung“ mitbedingend ist, wohl eine „weh¬ 
mütige“, ohne daß doch behauptet werden dürfte, daß der 
Lust an dem Andenken gleichsam als ihr Anhängsel eine 
Wehmut, also eine Unlust in diesem Augenblicke mitgegeben 
wäre. Wer dieses meint, kann seine Auffassung wiederum 
nur aus der Hypothese von dem, an jedes besondere Gegen¬ 
ständliche des Bewußtseins angeblich „gebundenen, besonderen 
Gefühlstone“ begründen: denn zweifellos findet sich in dem 
Augenblicke, dem die sogenannte „wehmütige Freude“ zu¬ 
geschrieben wird, als ein diese Freude mitbedingendes Gegen¬ 
ständliches jene „Erinnerung“ vor, die allerdings, sobald sie 
für das Gefühl eines Augenblickes maßgebend ist, Wehmut 
oder Trauer, also Unlust das Zuständliche d. i. das eine ein¬ 
fache Gefühl dieses Augenblickes sein läßt. Daß aber die 
sogenannte „wehmütige Freude“ der Deutung einer Gefühls¬ 
mischung von Lust und Unlust verfällt, dazu trägt noch 
vor allem die Tatsache das ihrige bei, daß in solchen Fällen 
meistens ein Augenblick der Freude an dem „Andenken“ mit 
b Siehe Rehmke, Lehrbuch der allgem. Psychologie, 2. Aufl., § 37.
	        
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