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Zur Lehre vom Gemüt.
stumpfen, einem warmen und einem kalten, einem arglosen
und einem mißtrauischen, einem unerschütterlichen und einem
ängstlichen, einem ruhigen und einem unruhigen, einem
trotzigen und einem verzagten, einem fröhlichen und einem
traurigen, einem dankbaren und einem neidischen Ge-
müte usf. Prüfen wir diese verschiedenen Fälle auf das, was
ihnen gemeinsam ist, so tritt uns zweifellos in jedem Falle
die Seele als „fühlendes“ Wesen entgegen, so daß unsere
Untersuchung des Gegebenen, das als „Gemüt“ bezeichnet wird,
sich in voller Sicherheit, daß damit der rechte Weg einge¬
schlagen ist, zunächst an die Seele als fühlendes Wesen
wenden kann.
Aber ist die Voraussetzung eines fühlenden Wesens,
„Seele“, selber so unbeanstandet, daß wir von ihr als gemein¬
samer sicherer Grundlage die Untersuchung anheben können?
Wie Viele werden, wenn diese Frage an sie herantritt, ant¬
worten: Wir haben den ganzen Menschen mit Eifer und
Ausdauer durchforscht, aber kein Seelenwesen in ihm ge¬
funden. Wie Viele finden sich heute, die der Behauptung
eines besonderen Einzelwesens „Seele“ die Berechtigung be¬
streiten und Seele als besonderes Einzelwesen demgemäß
schlechthin verwerfen! Sie alle werden daher auch den
Ausgangspunkt von der „fühlenden Seele“, den wir wählen,
verwerfen und statt dessen schlechtweg das „Gefühl“ oder
das „Gefühlsleben“ als ausreichende Voraussetzung bezeichnen
wollen. Es fragt sich aber, ob „Gefühl“ als ein Gegebenes
ohne fühlendes Einzelwesen möglich sei und begriffen werden
könne; und da nun die Frage des „Gefühls“ von grund¬
legender Bedeutung für die Lösung der Gemütsfrage ist, so
werden wir nicht umhin können, in die Erörterung einzutreten,
ob das, was wir „Gefühl“ nennen, selber schon unmittelbar
klar sein und als Gegebenes in fragloser Klarheit begriffen
werden könne, ohne daß wir genötigt sind, ein fühlendes
Wesen, nämlich ein besonderes Einzelwesen „Seele“ vor¬
auszusetzen. Hierin zur erwünschten Klarheit zu kommen, ist
in erster Linie nicht nur um unserer besonderen Frage
willen geboten, sondern auch überhaupt im psychologischen
Interesse gelegen, das leider gerade in diesem Punkte viel¬