Zur Lehre vom Gemüt.
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Gemütszustand der Stimmung jedoch im Vordergrund der
Betrachtung.
Auf den Gemütszustand der Stimmung kommt auch
jene alte Lehre von den Temperamenten tatsächlich hinaus,
die, wie ihre Einteilung in sanguinisches, cholerisches,
melancholisches und phlegmatisches Temperament nach den
Worten selbst lehrt, auf den besonderen Leibeszustand zurück¬
geführt werden und in ihm begründet sein sollen.
Das Gemüt d. i. dasjenige, was im einzelnen Menschen die
besondere Bedingung für die einzelnen Gemütszustände des
„Gefühles“ und der Stimmung ausmacht, kann uns, wenn wir
das dabei in Betracht kommende Bewußtsein und den nicht
minder in Betracht kommenden Körper des Menschen uns vor¬
führen, in seiner großen Mannigfaltigkeit kein Staunen er¬
wecken; macht sich doch alles Eigentümliche, das der Mensch
an Leib und Seele aufzuweisen hat, gerade für „Gefühl“ und
Stimmung der Seele geltend: alles Eigentümliche, wie es einer¬
seits in jedem besonderen Leib mit seinen durch Vererbung be¬
dingten Anlagen und seiner besondern Entwicklung, andererseits
in dem besonderen Bewußtsein mit seiner eigentümlichen Er¬
fahrung, seiner eigentümlichen Übung und Gewöhnung, die durch
so unendlich viele besondere Einflüsse getragen sind, bestimmt
ist. Mit Recht sieht man daher in dem Gemüte des Einzelnen
dasjenige, was ihn in seiner Eigentümlichkeit besonders kenn¬
zeichnet.
Wie weit das Gemüt demnach dem Wechsel unterworfen
sei, hängt immer davon ab, wie weit die beiden das Gemüt
bedingenden Einzelwesen, der einzelne Leib und die einzelne
Seele, ihrerseits der Veränderung zugänglich sind: auf der
Möglichkeit dieser Veränderung beruht daher auch die Be¬
rechtigung der Erziehungsaufgabe, die wir die Gemütsbildung
nennen.
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