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Zur Lehre vom Gemüt.
Für die hier untersuchten Bestimmtheitsbesonderheiten
der Seele, die wir in die beiden Gruppen des „Gefühls“ (den
Affekt eingeschlossen) und der Stimmung geschieden haben,
bietet unser Sprachgebrauch die gemeinsame Bezeichnung
„Gemütszustand“. Sie kennzeichnen sich allesamt dadurch,
daß ein jeder Gemütszustand sich als ein besonderes Zusammen
von Gefühl und bestimmtem Gegenständlichen unseres Bewußt¬
seins darstellt. „Gemütszustand“ bezeichnet demnach die
augenblickliche1) Beschaffenheit der Seele, die sich als
das Zusammen von besonderem Gefühl und besonderem
Gegenständlichen erweist.
Nachdem wir nun dieses eigentümliche Zusammen in seinen
verschiedenen Besonderungen untersucht und diese in ihrer
Zusammensetzung und Begründung zu verstehen gesucht haben,
wird es uns wohl auch gelingen, das „Gemüt“ dessen „Zu¬
stände“ dieses verschiedene Zusammen von Gegenständlichem
und Gefühl (Lust oder Unlust) genannt wird, seinem Sinne
nach zu begreifen.
Sicherlich ist das Einzelwesen, dessen augenblickliche Be¬
schaffenheit als „Gemütszustand“ bezeichnet wird, die Seele
d. i. das mit einem Körper in stetiger Wirkenseinheit ver¬
bundene Bewußtsein; von „unbewußten“ Gemütszuständen
darf demnach nicht die Rede sein, wir hören auch gottlob
davon nicht reden. In welchem besonderen Sinne nun das
Wort „Gemüt“ auch verstanden werden mag, wir finden in
unserem Sprachgebrauche, daß niemals von mehreren zu¬
gleich auftretenden Gemütszuständen des einzelnen Bewußt¬
seins die Rede ist. Darin also scheinen Alle einig zu sein,
daß nur immer ein Gemütszustand die augenblickliche Ge¬
mütsbeschaffenheit des Bewußtseinsindividuums bilde. Wir
sehen hierin die Bestätigung unserer Auffassung, daß immer nur
ein einfaches Gefühl die zuständliche Bestimmtheitsbesonder-
x) Der „Augenblick“ kann natürlich, wenn er nach der Uhr gemessen
wird, oft einen recht langen Zeitraum umspannen, sein Bestehen dauert
eben so lange, als bis ein anderer „Gemütszustand“ d. i. ein neues „Ge¬
fühl“ oder eine neue Stimmung eintritt.