Full text: Zur Lehre vom Gemüt

Zur Lehre vom Gemüt. 
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des rüstigen oder des beschränkenden Affekts“. Den Unter¬ 
schied von Affekt und „Gefühl“ aber sucht Herbart in folgen¬ 
der Weise zu begründen: „Es ist bemerkt worden, daß die 
Gefühle in gewissen Arten und Weisen, wie unsere Vor¬ 
stellungen sich im Bewußtsein befinden, ihren Sitz haben, in¬ 
dem andere hemmende und emportreibende Kräfte darauf ein¬ 
wirken; hierbei kommt es nicht darauf an, wie viele Vor¬ 
stellungen im Bewußtsein vorhanden seien, auch nicht darauf, ob 
diejenigen Vorstellungen, welche die Einwirkung erleiden, sich ge¬ 
rade in einem mehr oder minder gesunden Zustande befinden, 
welcher Unterschied sich vielmehr auf das Vorstellen, als 
auf das Fühlen, bezieht, sondern darauf, wie stark das 
Drängen der mit einander und wider einander wirkenden 
Kräfte ausfalle. Mit Beiseitesetzung mancher näheren Be¬ 
stimmungen läßt sich das Wesentlichste durch folgendes 
Gleichnis erläutern: man denke sich einen Hebel und die Be¬ 
dingungen seines Gleichgewichtes. Gesetzt, dies Gleich¬ 
gewicht wäre verletzt, so neigte sich derselbe nach der einen 
oder anderen Seite; damit vergleiche man das Steigen und 
Sinken der Vorstellungen, also die objektiven Bestimmungen 
des Bewußtseins, welche nicht Gefühle genannt werden. Aber 
das Gleichgewicht kann bestehen, während sehr verschiedene 
Gewichte in sehr verschiedenen Entfernungen von der Stütze 
des Hebels an ihm angebracht werden. Diese drehen den 
Hebel nicht, gleichwohl würde er sie fühlen, wenn er Be¬ 
wußtsein hätte und immer anders und anders fühlen, je 
nachdem größere und kleinere Gewichte an ihm so oder 
anders angebracht wären. Ja auch alsdann, wenn er wirklich 
gedreht würde, müßte mit jeder seiner Lagen ein gar mannig¬ 
faltig verschiedenes Gefühl verbunden sein, je nachdem er von 
vielen oder wenigen, starken oder schwachen, mit oder wider 
einander wirkenden Kräften gedreht würde. Also bei den 
Gefühlen soll es nicht vorzugsweise darauf ankommen, wie 
viele und wie weit gehemmte Vorstellungen sich im 
Bewußtsein befinden, ganz andere Umstände sollen die Stärke 
der Gefühle bestimmen; hingegen kommt es bei den Affekten 
gar sehr darauf an, ob mehr oder weniger Vorstellungen 
wach seien, als mit ihrem Gleichgewicht bestehen kann.“
	        
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