VON DER RELIGION
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An den Tod, den jeder zum Licht geborene
Mensch erleiden muß, knüpfen sich die Ideen
von Schuld und Strafe, vom Dasein als einer
Buße, von einem neuen Leben jenseits der be¬
lichteten Welt und von einer Erlösung, die
aller Todesangst ein Ende macht. Erst aus
der Erkenntnis des Todes stammt das, was wir
Menschen im Unterschiede von den Tieren als
Weltanschauung besitzen.
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Das Tier, mit seinem Denken an die Gegen¬
wart gebunden, kennt und ahnt den Tod als
etwas Zukünftiges, ihm Drohendes nicht. Es
kennt nur die Todesangst im Augenblick
des Getötetwerdens. Der Mensch aber, dessen
Denkensich von dieser Fessel des Jetzt und Hier
befreit hat und über das Gestern und Morgen,
das „Einst“ von Vergangenheit und Zukunft
grübelnd hinschweift, kennt ihn im voraus,
und es hängt von der Tiefe seines Wesens und
seiner Weltanschauung ab, ob er die Furcht
vor dem Ende überwindet oder nicht.
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