Romanen und Germanen an den Grenzen der römischen
Gallia.
30 Jahre interdisziplinäre Forschung von Archäologen,
Historikern, Geographen und Philologen an der
Universität des Saarlandes
Wolfgang Haubrichs
Eine Rede zum 75. Geburtstag von Frauke Stein1
Was ist Interdisziplinarität? Wenige werden wohl widersprechen, wenn ich sage:
Der Zusammengang verschiedener Disziplinen und Fächer in der Anstrebung
eines gemeinsamen Zieles. Und das kann man auch ganz wörtlich nehmen!
Imaginieren Sie, verehrtes Publikum, sich einen späten Oktobertag, kalt (5
Grad), stürmisch, regnerisch, am Rande des Französischen Jura, östlich von Lyon,
unweit der Rhône, des Rhodanus, des Rotten (wie man in der Schweiz sagt), in
einer Landschaft, die sich Bugey nennt und vor allem durch einen trockenen, kräf¬
tigen Weißwein überzeugt. Vier nicht mehr ganz junge, aber rüstige und zu jedem
Fortschritt entschlossene Repräsentanten verschiedener Disziplinen, ein Flistoriker,
ein Romanist, ein Germanist und eine Archäologin durchforschen schweren,
schwappenden Schrittes das vom Dauerregen sumpfig gewordene Terrain eines
Hochplateaus, erstreben das Ziel einer spätantik-frühmittelalterlichen Hof- und
Villenanlage. Der Wind treibt ihnen die Fetzen grauer, nasser Wolkenschleier ins
Gesicht. Macht nichts: Sie finden die Mauern der Höfe und Häuser, eine Kirche
und Gräber, Sarkophage dazu. Sie tasten und tappen voran, es dunkelt allmählich.
Da reißt der Sturm den Wolkenvorhang auseinander ... Gerade noch rechtzeitig:
Sie stehen an einer 200 Meter senkrecht nach unten abfallenden Felswand, unten
ein grünlicher Sumpf, in der Ferne die ruhig fließende Rhône, davor ein Atom¬
kraftwerk - eine typisch französische Landschaft also.
Sie werden sich fragen: Was ist das?
Nun, es ist der seit 30 Jahren sich rituell wiederholende Occursus, Zusammen¬
gang verschiedener Disziplinen durch Geschichte und Landschaft, um eine im dar¬
auffolgendem Sommer - natürlich bei strahlendem Wetter - in blühenden Land¬
schaften, gekrönt von Picknicks im Freien, sur les herbes, stattfindende Exkursion
von Studenten, Mitarbeitern, Professoren und einem comitatus benevolentium bis
ins Detail vorzubereiten - eine Exkursion, die wiederum zu einem im Winterseme¬
ster stattfindenden Kolloquium zu „Siedlungsnamen und Siedlungsgeschichte“ ge¬
hört, das seit 30 Jahren, seit dem Jahre 1980 nach einem nur wenig gewandelten
Ritus stattfand.
So wurden einem größeren Kreis von Interessierten im interdisziplinären Dialog
im Laufe dieser Jahre nahezu alle Landschaften und Gaue zwischen Gallia und
1 Diese Rede ist am 18. Dezember 2011 aus Anlass des 75. Geburtstags von Frau Kollegin
Prof. Dr. Frauke Stein (Fachrichtung Vor- und Frühgeschichte) in der Universität des
Saarlandes gehalten worden. Der persönliche Ton der Rede ist weitgehend beibehalten
worden. Der Text ist durch Literaturhinweise ergänzt worden.
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