muss beziehungsweise einen Erbenermittler damit beauftragt. Ein anderes Beispiel
sind Grundstücke, die möglicherweise mit Schadstoffen belastet sein könnten. Ar¬
chive verwahren Wissen, das im Alltag für den Bürger wie für den Ver¬
waltungsbereich selbst, für den das Archiv zuständig ist, von Nutzen sein kann. Dazu
sichern Archive den Rohstoff für die Geschichtsschreibung und ermöglichen es den
Historikern, sich wissenschaftlich mit Geschichte auseinandersetzen zu können.
Aber nicht nur Wissenschaftler werden bedient, auch Schüler lernen Primärquellen
und den Reiz des Authentischen kennen etwa auf der Suche nach Lokalgeschichte,
ebenso Geschichtswerkstätten und Vereine und natürlich die Familienforscher4 *.
Diese Beispiele erklären aber immer noch nicht die systemrelevante Bedeutung
der Archive für eine Demokratie. Archive können noch sehr viel mehr leisten als
das eben Beschriebene. Dazu ist es hilfreich, einmal ganz unhistorisch zu denken
und sich die Frage: „Was wäre wenn?“ zu stellen. Stellen wir uns vor, es gäbe kei¬
ne Archive, was würden wir tun, wenn die braunen Horden schreien, Hitler habe
die Juden keineswegs vergast, alles sei eine Erfindung, Hitler habe vielmehr die
Autobahnen gebaut und die Arbeitslosigkeit beseitigt\ Es wäre ein schwieriger
Kampf gegen das Lügen, Leugnen und Vergessen, der kaum zu gewinnen wäre.
Archive sind Arsenale der Aufklärung, ohne sie ist eine Gesellschaft der Manipu¬
lation und Legendenbildung ausgeliefert6. „In der DDR war nicht alles schlecht,
das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) war wie alle Geheimdienste, wer sich
an Recht und Gesetz hielt, der brauchte eigentlich nichts zu fürchten!“ - auch sol¬
che Aussagen gibt es, und diese Meinungsmache wäre wahrscheinlich mehrheits¬
fähig, wenn wir keine Archive hätten und insbesondere kein Archiv der Bundesbe¬
auftragten für die Llnterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deut¬
schen Demokratischen Republik. Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands
(SED) und das Ministerium für Staatssicherheit haben zwar 1989 Akten vernichtet,
aber durch engagierte Bürgerrechtler konnte viel gerettet werden7.
Auch für die saarländische Geschichte gibt es Beispiele für die Enthüllung von
Legenden und das Aufdecken von fast Unvorstellbarem. So kann man aus Unter¬
lagen des Ministeriums für Staatssicherheit ein Attentatsversuch der DDR auf den
saarländischen Ministerpräsidenten Johannes Hoffmann nachweisen - zu interpre¬
tieren als Attentat zur Verhinderung des Schuman-Plans8. Auch mit Blick auf an¬
dere Aspekte der politischen Sonderentwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg bis
4 Thomas Lange und Thomas Lux, Historisches Lernen im Archiv, Schwalbach/Taunus
2004.
Brigitta Baier-Galanda, Wolfgang Benz und Wolfgang Neugebauer (Hrsg.), Die
Auschwitzleugner. Revisionistische Geschichtszüge und historische Wahrheit, Berlin
1997.
6 Klaus-Dietmar Henke, Arsenale der Aufklärung: die Archive in den neuen Bundeslän¬
dern und die Auseinandersetzung mit zwei Diktaturen in Deutschland, in: Für Bürger,
Staat und Forschung: 10 Jahre Sächsisches Staatsarchiv Chemnitz, Haus der Geschichte
für die Region Südwestsachsen. Fachtagung 29. Oktober 1997 in Chemnitz, hg. von Lutz
Sartor, Chemnitz 1998, S. 20-25.
Hubertus Knabe, Die Täter sind unter uns. Über das Schönreden der SED-Diktatur, Ber¬
lin 2007.
8 Hans-Christian Herrmann, Die Saar im Visier der SED, in: Deutschland-Archiv 5/2005,
S. 820-829.
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