Die Stunde der Restrukturierung. Die Konjunktur- und
Strukturkrisen der „langen“ 1970er Jahre im Saarland
Margrit Grabas, Uwe Müller und Veit Damm
1. Einleitung
Die Rezessionen von 1966/67, 1974/75 und 1981/82 - in denen in der Bundesre¬
publik das Bruttoinlandsprodukt preisbereinigt gegenüber den jeweiligen Vorjah¬
ren um 0,3% (1967), 0,9% (1975) und um 0,4% (1982) sank1 - markieren als her¬
ausragende Zäsuren das Ende der Europäischen Nachkriegsprosperität2 *, das mit
einem weltweiten Einbrechen standardisierter Massenproduktion einherging und
eine Rückkehr der Massenarbeitslosigkeit bewirkte1. Ein regionaler Kristallisa¬
tionspunkt dieser Entwicklungen war das saarländische Montanrevier, in dem die
Arbeitslosenquote 1967 im Vorjahresvergleich um mehr als das Vierfache anstieg
und sich bis 1977 nochmals fast verdoppelte4. Hintergrund bildeten hier bereits seit
längerem vorhandene und in Krisen mündende strukturelle Probleme, die sich
zunächst — seit den späten 1950er Jahren - im Steinkohlenbergbau, dann aber —
spätestens mit den massiven Produktionseinbrüchen von 1975 - vor allem in der
Stahlindustrie zeigten. Dabei handelte es sich um international übergreifende, die
Montanindustrien aller westeuropäischen Länder betreffende Strukturkrisen5, die
das Saarland aufgrund seiner historisch im 19. Jahrhundert wurzelnden - durch
Kohle und Eisen geprägten — Industriestruktur vor große Herausforderungen stell¬
ten und sich mit den genannten konjunkturellen Abschwüngen überlagerten.
Ziel der nachfolgenden Ausführungen ist es, auf der Grundlage ausgewählter
Indikatoren Verlauf, Ursachen und Folgewirkungen der wirtschaftlichen Entwick¬
Vgl. Norbert R.ÄTH, Rezessionen in historischer Betrachtung, in: Statistisches Bundesamt
Deutschland (Hg.), Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen. Wirtschaft und Statistik
(2009/3), S. 203-208, S. 204.
Vgl. Hartmut Kaelble (Hg.), Der Boom 1948-1973. Gesellschaftliche und wirtschaft¬
liche Folgen in der Bundesrepublik Deutschland und in Europa, Opladen 1992; Margrit
Grabas, Der Nachkriegsboom der 1950er und 1960er Jahre in Mittel- und Westeuropa -
Modellcharakter für eine gesamteuropäische Prosperität im „postsocialist Century“?, in:
Internationale Wissenschaftliche Vereinigung Weltwirtschaft und Weltpolitik (IWVWW)
- Berichte 148 (2004), S. 8-27.
Vgl. stellvertretend Werner Abelshauser, Strukturelle Arbeitslosigkeit. Eine Diagnose
aus historischer Perspektive, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte (2009/2), S. 249-
262, S. 258f.; Thomas Raithel (Hg.), Die Rückkehr der Arbeitslosigkeit. Die Bundes¬
republik Deutschland im europäischen Kontext 1973 bis 1989, München 2009; Jeremy
Rifkin, Das Ende der Arbeit und ihre Zukunft. Neue Konzepte für das 21. Jahrhundert,
Frankfurt/Main 2004.
Vgl. hierzu näher Abschnitt 2.5.
Vgl. Uwe Röndigs, Globalisierung und europäische Integration. Der Strukturwandel des
Energiesektors und die Politik der Montanunion 1952-1962, Baden-Baden 2000; Sebas¬
tian Kerz, Bewältigung der Stahlkrisen in den USA, Japan und der Europäischen Ge¬
meinschaft, insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland, Göttingen 1991, S. 8-97.
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