Schaft, sich über die kulturelle Praxis zu reproduzieren. Die neu aufzunehmenden
Mitglieder wurden nach Herkunft, Ausbildung, beruflicher Position, Status und
Auftreten, also in der Terminologie Bourdieus nach ihrem Habitus, beurteilt13.
Von Interesse für das Vereinsprofil ist weiterhin, welchen Berufen die Vereins¬
mitglieder nachgingen und welchen nicht. Wobei es schwierig ist, generalisierende
Ergebnisse über die Mitgliedschaft zu formulieren. In jedem Verein dominierten
andere Gruppen abhängig von den gesellschaftlichen Strukturen der einzelnen
Städte. An der Spitze standen in den zahlreichen deutschen Residenzstädten die
Verwaltungs- und Justizbeamten, wobei sie etwa in München, Dresden oder Stutt¬
gart bis zu einem Drittel der Mitglieder stellten. Dabei handelte es sich häufig um
Exponenten der hohen Beamtenschaft; Minister und Ministerialbeamte lassen sich
gleich dutzendweise nachweisen. Auch in Saarbrücken versammelten sich die ton¬
angebenden Justiz- und Verwaltungsbeamten, genannt seien hier nur der Landrat,
der Landgerichtspräsident, der Öberbergrat sowie der Bürgermeister14. In der
Gründungsphase von Gesellschaften in den deutschen Residenzstädten waren je¬
weils große Teile des Kabinetts vertreten, so dass man sich fragt, ob hier wirklich
das Interesse an der Landesgeschichte oder die Staatsräson den entscheidenden Im¬
puls für diese auffallend homogene Beteiligung bildete. Problematisch erscheint es
deshalb, diese Beamten aufgrund ihres Ausbildungsweges einfach dem Bildungs¬
bürgertum zuzurechnen, ein gängiges Verfahren in der Bürgertumsforschung15,
waren sie doch häutig adliger Herkunft und standen der Monarchie sehr nah.
Stellt man weiterhin die Frage, inwieweit sich Fachleute in den Vereinen enga¬
gierten, so sind Hochschuldozenten, Archivare, Bibliothekare und Museumsmitar¬
beiter von besonderem Interesse. Sie waren in allen Vereinen in führenden Positio¬
nen sehr gut vertreten und dies auch während des gesamten 19. Jahrhunderts, so
dass von zunehmender Professionalisierung nur insofern die Rede sein kann, als
die Amtsinhaber im ausgehenden Jahrhundert eine fachgerechtere Universitätsaus¬
bildung durchlaufen hatten. Bemerkenswert ist das große Engagement des Adels
sowie des Klerus in zahlreichen Geschichtsvereinen, wobei letzterer sich vermehrt
in vornehmlich katholischen Regionen wie im Kölner Raum und Bayern engagier¬
te, wo er zwischen annähernd 30 bis 40 Prozent aller Mitglieder stellte. Dieses
überproportionale Vorkommen einer Berufsgruppe in einem Verein ist ein starkes
Indiz für deren hohe Steuerungskompetenz. Frauen spielten hingegen - wie in an¬
deren wissenschaftlich ausgerichteten Gesellschaften - kaum eine Rolle. Die Ver¬
einsprotagonisten hielten Geschichte für Männersache, und Frauen waren - wenn
überhaupt - nur als inaktive, aber zahlende Mitglieder zugelassen. Sie wurden al¬
lerdings bei den Vereinen nicht völlig ausgeschlossen. Gerne gesehen waren sie als
Zuhörerinnen, beispielsweise auch als Nichtmitglieder bei den wissenschaftlichen
Vorträgen. Zudem galten Ehefrauen und Töchter als „Dekor“ bei den geselligen
13 Vgl. Pierre Bourdieu, Die feinen Unterschiede, Frankfurt am Main 1988.
14 Zur Dominanz der Saarbrücker Honoratiorenkreise vgl. Elisabeth Fehrenbach, Die
Gründung des Saarbrücker Historischen Vereins 1839 im Rahmen der allgemeinen Ver¬
einsgeschichte, in: Zeitschrift für die Geschichte der Saargegend 37 (1989), S. 13-21,
hier S. 19.
15 Vgl. zu dieser Problematik: Jürgen Kocka, Bürgertum und Sonderweg, in: Sozial- und
Kulturgeschichte des Bürgertums: eine Bilanz des Bielefelder Sonderforschungsberei¬
ches (1986-1997), hg. von Peter Lundgreen, Göttingen 2000, S. 93-110, hier S. 105.
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