Erfassungspolitik, in weiten Teilen auch einer Königs- oder Zentralgewalt wider¬
standen.
Mit dem letzten Zeugnis aus dem 9. Jahrhundert ist die Reihe nicht sehr zahl¬
reicher, aber doch eindrucksvoller Beispiele hier beendet. Für das 10. Jahrhundert
fehlen entsprechende Zeugnisse, und lediglich der sogenannte „Anschlag für ein
Zusatzaufgebot zum Romzug“ (981) wäre zu nennen denn er setzt immerhin eine
Gesamtmatrikel voraus, deren Gewicht in bedrängter Lage ergänzt werden musste.
Hierbei waren Erfassungsmaßnahmen in relevanter Form kaum nötig. Es ist aber
wohl angebracht, die speziellen Erfassungsformen knapp zu rekapitulieren, ehe ein
Ausblick angedeutet werden kann.
Erfassen bedeutet suchen, ermitteln, notieren, schriftlich fixieren, und zwar in
einer Art amtlichen Zugriffs. So enthält lateinisch discribere und describere einen
amtlichen oder mindestens halbamtlichen Ton, in substantivierter Weise dann in¬
quisitio. Vor Ort werden vom discriptor die Auskünfte cum sacramento gefordert,
was eine gewisse Strenge anzeigt, zumal gelegentlich, aber ausdrücklich sine sa¬
cramento erfasst wird38 39.
Im Normalfall scheint die Bevölkerung der betreffenden Ortschaft zusammen¬
geholt worden zu sein, und dann standen einige Bewohner Rede und Antwort. Auf-
talligerweise sprechen manche Quellen von veratiores homines, von meliores ac
veraces oder veraces homines, von veratiores, und bei Gerhard von Augsburg wa¬
ren es prudentiores et veraciores. Da solche hervorgehobenen Personen kaum ad
hoc ermittelt wurden, sondern in der jeweiligen Ortschaft bekannt waren, scheint
es, als fasse man in diesem Personenkreis eine Art Gemeinderat und erhalte unver¬
muteten Einblick in die Frühphase der Landgemeinde. Dabei sollte man auch fest-
halten, dass die jeweiligen in den Ortschaften herausgehobenen Leute nicht als
„Ältere“ oder „Wohlhabende“ (boni homines etwa) bezeichnet werden. Erfahrung,
Klugheit und Ehrlichkeit erscheinen in diesen Zusammenhängen als Qualifi¬
kationsfaktoren.
Nicht unwichtig sind technische Voraussetzungen der Erfassung, die schrift¬
lichen Niederschlag fand. Als Beschreibstoff kamen gewiss vorrangig Tafeln aus
Wachs oder Schiefer in Frage. Da es sich hierbei um vergängliches Material han¬
delt, sind die Überlieferungsverluste plausibel. Pergament galt im Allgemeinen als
zu teuer und kam eher für zusammenfassende Texte zur Verwendung. Aus der
Karolingerzeit weist ein knappes Verzeichnis in diese Richtung: eine um 805 ver¬
fasste Liste von 37 sächsischen Geiseln, die aus Westfalen, Ostfalen und Engem
nach Mainz gebracht werden sollten - mit Angabe ihrer Namen und der bisherigen
Einzelzuordnung an fränkische Große40.
Ein knapper Ausblick erscheint angebracht. Zuallererst ist zu betonen, dass hier
das Interesse der Erfassung königlicher Ressourcen galt, zu deren Umfeld gewiss
auch Grundherrschaftsbereiche und Güterverzeichnisse gehören. Eigens wurden
diese jedoch nicht berücksichtigt, weil es sich um relativ kleinräumige und anders
38 MGH Const. I, hg. von Ludwig Weiland, 1893, Nr. 436, S. 633.
39 Z. B. MGH Capitularia I, S. 130, 300; II, S. 15.
40 Indiculus obsidum Saxonum Moguntiam deducendorum, MGH Capitularia I, Nr. 115, S.
233 f.
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