ln fast paradoxer Weise illustriert ein spezielles Konzentrationsbemühen die
Entwicklung zentraler Erfassung. Im Verlauf der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts
hatten sich die normannischen Übertalle zu einer sehr ernsten Bedrohung der frän¬
kischen Teilreiche entwickelt'“1. Da die Abwehrkräfte keine dauerhaften Erfolge
brachten, sahen sich fränkische Herrscher zu schmerzlichen Verhandlungen und in
deren Konsequenz zu immensen Tributzahlungen genötigt. Beispielsweise forder¬
ten Dänen 860 vom westfränkischen König Karl dem Kahlen 3.000 Pfund Silber,
und „verleitet durch leere Versprechungen der in der Somme weilenden Dänen ließ
König Karl eine Steuer (exactio) von den Kirchenschätzen und allen Mansen und
allen, selbst den armen Kaufleuten erheben, in der Art, daß man auch ihre Häuser
und allen Hausrat abschätzte und davon einen bestimmten Satz einforderte“32 33.
Karls des Kahlen Verfahren bei der Erhebung des geforderten Tributs setzt nicht
nur voraus, dass die Höhe der Einzelabgaben in Bezug auf den Gesamttribut er¬
rechnet werden konnte, sondern auch, dass für solche Berechnungen die erforder¬
lichen Grunddaten für den König und seinen Hof verfügbar waren.
In den folgenden Jahren wussten die Normannen ihre Tributforderungen zu stei¬
gern und das nahezu ohnmächtige westfränkische Reich hatte zu zahlen. So schloss
Karl der Kahle 866 „mit diesen Normannen ein Abkommen, ihnen eine Summe
von viertausend Pfund Silber zu zahlen, und legte, um diesen Tribut aufzubringen,
eine Abgabepflicht auf sein Reich: von jeder freien Manse wurden sechs Denare
gefordert, von einer unfreien drei, von jedem Beisassen (accola) einer und von je
zwei Häuslern (de duobus hospitiis) auch einer, sowie der Zehnte von allem, was
in den Händen der Kaufleute zu sehen war; aber auch von den Geistlichen wurde,
je nach dem, was jeder besaß, eine Steuer (vectigal) erhoben und von allen Franken
der Heerbannschoß (heribanni) eingezogen. Dann wurde von jeder Manse, der
freien wie der unfreien, ein weiterer Denar erhoben, und endlich mußte zu zwei
Malen jeder der Großen des Reichs je nach dem, was er an Lehen besaß, einen Bei¬
trag sowohl in Geld als in Wein leisten, um die Zahlung aufzubringen, die man mit
diesen Normannen ausgemacht hatte (adpensum persolvendum)“'4.
In der Not, fast ständig finanzielle Forderungen normannischer Truppen erfüllen
zu müssen, war es plausibler als sonst, die Abgabelasten jeweils reichsweit umzu¬
legen. Das galt auch für das sogenannte Mittelreich. So erhob Lothar II. 864 „in
seinem ganzen Reich von jeder Manse vier Denare und gab die ganze Geldsumme
nebst einer großen Leistung an Mehl, Vieh, Wein und Bier dem Normannen Ru¬
dolf [...] und den Seinigen als Tribut, der als eine Art Pacht deklariert war“35.
Die zur Erfüllung normannischer Tributforderungen durchgesetzten Umlagen
sind bereits in den Formen ihrer Abwicklung und der schnellen Durchführung ein¬
drucksvoll; sie sind überdies bestechende Beispiele dafür, dass in gegebenenfalls
extremen Notsituationen auch in fränkischen Reichen exzellente Planung und
Durchsetzung administrativer Vorgaben realisierbar waren. In dieser Sehweise gibt
32 Einen Überblick bietet Kurt-Ulrich JÄSC'HKE, Burgenbau und Landesverteidigung um
900, Sigmaringen 1975, S. 33-80 („Die Normannenabwehr im Frankenreich“).
Annales Bertiniani ad 860 (Quellen zur karolingischen Reichsgeschichte 2), bearb. und
übers, von Reinhold Rau, Berlin o. J„ S. 103.
34 Ann. Bert, (wie Anm. 33) ad 866, S. 155.
35 Ebd. S. 129.
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