4. Im Rezeptionsdreieck: Ein Triumph Amors?
Ein abschließender Blick lässt die Protagonisten des Rezeptionsdreiecks, Barbara von
Brandenburg, Andrea Mantegna und Paola Gonzaga, in neuem Licht erscheinen:
(1) Mit Bedacht wählt Barbara von Brandenburg die Themen für die Brauttruhen ihrer
Tochter:4" Sie soll die Motive auf den Geschenk-r^rrö«/ ihrer Schwiegermutter Paola Mala-
testa anlässlich der Geburt ihres ersten Sohnes — das Opfer Abrahams und das Urteil Sa-
lomons — als höchst unpassend empfunden haben und trifft nun eine sorgfältigere Wahl,
was sich auch an den beiden eingangs gezeigten, aber bis jetzt hier ausgeklammerten Tru¬
hen mit dem Trajansurteil zeigt (vgl. supra). Sie sind der Mütterlichkeit gewidmet, einer¬
seits als bleibende Erinnerung an die eigene Mutter, andererseits aber auch als Appell an
Paolas bedingungslosen Einsatz als künftige Mutter für ihre eigenen Kinder - auch wenn
sie letzdich kinderlos blieb. Es handelt sich um jene Episode aus der Traj anslegende, die
auch in der Bildersprache klar eine Mutter — im langen blauen Kleid und mit weißem
Kopfschmuck — ins Zentrum rückt, die durch das Ungestüm des kaiserlichen Sprösslings
ihren Sohn verloren hat und erreicht, dass ihr Traj an persönlich, selbst wenn er den eige¬
nen Sohn verurteilen muss, Gerechtigkeit gibt.
Die Wahl der Trionfi für das zweite Truhenpaar ist weniger offensichtlich und viel¬
schichtiger: Zum einen verweisen sie auf einen gemeinsamen kulturellen Hintergrund und
auf gemeinsame Lektüreerfahrungen. Zum anderen haben sie auch einen konkreten politi¬
schen Hintergrund: Barbara von Brandenburg weiß ganz genau, dass sie ihre Tochter in
eine Vernunftehe zwingt,4' in der sie Petrarcas allegorische Reihe der Trionfi nicht früh ge¬
nug verinnerlichen kann, wo die Liebe als schwächste Macht zuerst besiegt wird und das
einzige, was letztlich zählt, der Erlösergedanke im ,Triumph der Ewigkeit' ist. Ein deutli¬
cher Wink, in welche Richtung der Weg der Tochter in dieser Ehe führen sollte — wären
da nicht auch noch der mysteriöse nackte Merkur und der intensive Blick Mantegnas aus
dem Triumph Amors...
(2) In der Zusammenarbeit der Mutter mit dem beauftragten Künstler wird diese Wahl
— unter Beibehaltung der durch die Auftraggeberin vorgegebenen Akzentuierung — dann
wieder auf ein allgemeineres künstlerisches und ästhetisches Niveau gehoben und gleich¬
sam entpersönlicht. Denn Andrea Mantegna bringt seinen ganz eigenen, von den ,Lehr¬
jahren' in Padua geprägten kulturellen Horizont in die Ausführung dieses Auftrags mit
ein, als humanistisch gebildeter Kenner Petrarcas und zugleich als Kenner und Mitbe-
42 Zu Wandel und Funktion der Motive für Brauttruhen und deschi diparto im 15. Jahrhundert, vgl. Call¬
mann 1979, S. 82: „The introduction of Petrarch’s trionfi helps to pinpoint the moment of change. [...].
The first documented example of a complete series of triumphs is a manuscript by the cassone painter
Apollonio di Giovanni dated 1442. It did not take long for trionfi to be used on deschi and cassoni and soon
they became very elaborate, with the addition for a rapidly growing entourage, though as little space as
possible was given to the depressing triumphs of Death and Time. Flere too, the theme is essentiallv hor¬
tatory and only tangentially touches on love and marriage through the triumphs of Love and Chastity“.
43 Zur machtbewussten Heiratspolitik Barbaras von Brandenburg als Mitglied des europäischen Hochadels,
auf die hier nicht im Einzelnen eingegangen werden kann, vgl. besonders Severidt 1997 und 1998 sowie
z.B. Bell: „The Trauma of an Arranged Marriage“ (2002); Nolte: „Gendering Princely Dynasties“ (2000);
und Walsh: „Verkaufte Töchter“ (1992).
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