Full text: Zwischen Herrschaft und Kunst (44)

(„Sie übte freien [adligen?] Sinn mit Anstand [- hier klingt einmal ein personales Moment 
an -] und ging mit ihren Gütern freigebiger um als jede andere. Deswegen müssen wir auf 
immer um diese unverfälschte reine Frau trauern, so vollkommen war ihre Person“). 
Dieses Motiv der Reinheit und Tugendhaftigkeit wird später noch einmal aufgenom¬ 
men (v. 568ff.): 
Ir leben ivag so rain 
I ad ivag och aller tugent vol 
Dag waisg der gartgot vil ml 
Er mit sy auch im selber han 
1 nd lie den tot über sy ergan 
Mit aim so recht beschaiden end 
an aller missewend 
Schied sy von der mit so schon: 
Got hat ir er in sinem fron. 
(„Ihr Leben war so rein und war auch angefüllt mit allen Tugenden. Das weiß der zarte, 
liebliche Gott gar wohl. Er wollte sie wohl auch für sich haben und ließ den Tod über sie 
ergehen und mit einem so beispielhaftem Ende: ohne alles Fehl schied sie in angemesse¬ 
ner Weise von der Welt, Gott verwahrt ihre Ehre in seinem Thron.“). 
Mit diesen Prädikaten nähert sich die Gepriesene der Gottesmutter und gerade die letz¬ 
ten Verse über die Aufnahme ihrer „Ehre“, ihres honor am Sitz des Allerhöchsten wirken 
fast wie eine Assumptio, durch den garten, den „höfischen“ Gott. 
Topoi des höfischen Anstands, der Reinheit, der Anmut, der Schönheit, der Liebens¬ 
würdigkeit, der Vollkommenheit in den Tugenden, besonders in der Freigebigkeit gegen¬ 
über den Bedürftigen, des freien adligen Sinns und schließlich der reinen, unschuldigen 
Frömmigkeit, die bis in den Himmel trägt, Topoi und Konvention gewiss — doch stecken 
diese Topoi, gerade indem sie gesellschaftliche Konvention sind, den Horizont fürsticklicher 
(v. 561) Erwartungen an adlige Frauen ab, skizzieren das fürstliche Frauenbild für die Re¬ 
präsentation nach außen, zweifellos nicht die Realität. 
Jenseits der Vollkommenheit findet sich freilich wieder ein gesellschaftliches Regulativ, 
eingespeist in die allegorische Erzählung. Denn was anders heißt es denn, wenn gerade 
„Frau Freude“ und „Frau Ritterschaft“ um die Tote so intensiv klagen, als dass die Für¬ 
stin die Garantin der höfischen „Freude“, verkörpert im Fest, und Protektorin der „Rit¬ 
terschaft“, verkörpert im Turnier, ist, im Turnier, das in der Klage zuvor als nun verloren 
beschrieben wird (v. 339ff.). ja, diesen personae wird sogar, was sonst den Mönchen oder 
Nonnen des Begräbnisklosters aufgetragen ist, die Memoria, das gedechtnus, die Fürbitte tür 
die Verstorbene aufgetragen, wozu sie sich in anachoretischem Akt in den Eremus, in die 
Wildnis auf ewig zurückziehen. 
Der Meister der Ehrenreden auf fürstliche und adlige Personen im 14. Jahrhundert ist 
zweifellos Peter Suchenwirt, dem wir auch die zweite überlieferte Totenpreisrede auf eine 
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