finden sich aus stofflichen Gründen unter ihnen kaum Herrscherinnengestalten.1 Auch
zählte die frühmittelhochdeutsche Dichterin wohl selbst nicht zur Gruppe der Herrsche¬
rinnen. Dagegen liegt der Herrscherinnenstatus Elisabeths von Nassau-Saarbrücken offen
zu Tage, schließlich trug sie zur Entstehungszeit der ihr zugeschriebenen Romane als
verwitwete Gräfin und Mutter minderjähriger Söhne die Verantwortung für eine eigene
Grafschaft. Ihre Übersetzungen greifen auf vier im hochadeligen Milieu spielende, an
Fürstinnengestalten besonders reiche französische Chanson de geste-Epen zurück, so
dass den Herrscherinnenfiguren Elisabeths einiges Gewicht zukommen dürfte — ein Ge¬
danke, dem allerdings in der Forschung bislang nicht konsequent nachgegangen wurde.
Mit ,Herrscherinnen3 4 sind im Folgenden die in der Regel dem Geblütsadel entstam¬
menden Ehefrauen von Grafen, Herzögen oder Königen gemeint. In literarischen Texten
können sie als Einzelpersonen mit Ambitionen, Schwächen usw. dargestellt sein, darüber
hinaus bleiben sie in familiäre Rollen z.B. als Ehefrauen oder Mütter eingebunden und
treten auch als Repräsentantinnen der mittelalterlichen Ordnung in Erscheinung. Dem¬
entsprechend werden die prominenten Fürstinnen in den Elisabeth zugeschriebenen
Werken durch Personennamen, Familienrollen und Adelsprädikate dreifach markiert (z.B.
Adelheid, husfroum, Herzogin).
Auch wenn diese drei Bereiche nicht streng voneinander zu trennen sind, soll im Fol¬
genden der Schwerpunkt auf dem gesellschaftlichen Handeln der Herrscherinnenfiguren
liegen. Dabei wird sich zeigen, dass in die Gestaltung von Elisabeths Protagonistinnen, die
in der Forschung bislang unter den Aspekten der literarischen Typik (Motivgeschichte)
und der Geschlechtsspezifik4 betrachtet wurden, einiges an herrscherüchem Orientie¬
rungswissen eingeflossen ist. Den Elisabeth zugeschriebenen Werken sind Grundzüge ei¬
nes Herrscherinnenkonzepts inhärent, das an problematischen Frauenfiguren (Kap. 2) wie
an idealtypisch gezeichneten Heldinnen (Kap. 3) gleichermaßen ablesbar wird. Hieraus
lassen sich auch Rückschlüsse hinsichtlich der umstrittenen Entstehungsfrage der Werke
Elisabeths ziehen (Kap. 4).
3 Einzige Ausnahme ist die nur kurz erwähnte „valantinne Herodia“ (Die Dichtungen der Frau Ava [wie Anm.
1,], S. 9 [Johannes 27, 6j).
4 Besonders verwiesen sei auf: Morrison, Susan Signe: „Women Writers and Women Rulers: Rhetorical
and Political Empowerment in the Fifteenth Century“, in: Women in German. Yearbook 9 (WlGYb) (1994)
S. 25-48; von Bloh, Ute: „Gefährliche Maskeraden. Das Spiel mit der Geschlechteridentität. (,Herzog
Herpin1 *, ,Königin Sibille1 *, ,Loher und Maller1, ,Huge Scheppel1)11, in: Wolfgang Haubrichs / Hans-
Walther Herrmann / Gerhard Sauder (Hg.): Zwischen Deutschland und Frankreich. Elisabeth von Eothringen,
Gräfin von Nassau-Saarbrücken (Veröffentlichungen der Komm, für Saarländische Landesgeschichte und
Volksforschung 34), St. Ingbert 2002, S. 495-515. Weitere Arbeiten werden genannt und kritisch bespro¬
chen bei Gaebel, Ulrike: Chansons de geste in Deutschland. Tradition und Destruktion in Elisabeths von \assau-
Saarbrücken Prosaadaptionen, Diss. Phil. Berlin 2002, S. 29-32; http://www.diss.fu-berlin.de/2002/8/
5 Welchen Anteil die Saarbrücker Gräfin an der Entstehung der ihr zugeschriebenen Übersetzungen hatte,
wird ungeachtet der oben zitierten Schlussbemerkung von Loher und Maller in der neueren Forschung
kontrovers diskutiert. Ute von Bloh z.B. geht hinsichtlich der Autorschaft Elisabeths von „einer insze¬
nierten Legende“ der gräflichen Familie aus (von Bloh, Ute: Ausgerenkte Ordnung. 1 der Prosaepen aus dem
Umkreis der Gräfin Elisabeth von Nassau Saarbrücken: ,Herzog Herpin ( ,Loher und Maller \ ,Huge Scheppel', , Köni¬
gin Sibille' [Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters 119], Tübin¬
gen 2002), S. 32. Vgl. dazu auch zusammenfassend Gaebel: Chansons de geste (wie Anm. 4), S. 25ff.
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