tur des Erzählten ist wiederum rezeptionsgeschichtlich eingebunden in die Generationen-
Abfolge der hochadeligen Literaturkenner: Elisabeths Mutter, „frowe Margrette greffyne
zu wyedemont vnd frowe czu Genville hertzog frvdrichs von lottringen graffen czu wie-
demont hussfrowe“,'’ die hoher und Maller 1405 aufzeichnen ließ, gefolgt von Elisabeth, die
gerade in diesem Text ihre Autorschaft mit Nachdruck betont („durch sich selbs [...] be-
tütscht“ ), ihrem Sohn Johann III., der die Prachthandschriften der Erzählungen in Auf¬
trag gab, und ihrer Tochter Margarethe von Rodemachern, die wohl eine Kurzfassung
eben dieses Textes besaß.s So wie Elisabeths Texte von der Drei-Generationen-Abfolge
des königlichen Hauses im Augenblick des Wechsels von Karolingern zu Kapetingern er¬
zählen, so schließen die drei Generationen der Häuser von Vaudemont und Nassau-
Saarbrücken eine Art genealogische Klammer — zugleich auch im Sinne fürstlicher memoria
— um die Sammlung, Übersetzung und repräsentative Weitergabe der chanson degeste-Epen,
wie sie wenigstens in der Mutter-Sohn-Ab folge auch noch die Vorrede Konrad Heimdorf¬
fers zum Hug Schapler im Druck von 1537 bewahrt. — Genealogische Zugehörigkeit, wie
wichtig sie auch in allen vier Epen erscheint, wird gleichzeitig jedoch in ihrer Bedeutung
für den Einzelnen ständig zur Disposition gestellt. Dies ist zunächst auch erzählerisches
Grundprinzip gerade der chanson de geste, wobei jedoch — denkt man etwa an Wolframs
Willehalm — zuletzt die dynastische Bindung zumeist den Ausschlag gibt für die Gewäh¬
rung von Hilfe und Unterstützung. Generell scheint die je eigene Sippe zunächst vertrau¬
enswürdiger zu sein als die durch Heirat erworbene Bindung: So darf Sibille nach ihrer
Begegnung mit dem beckart, der sich als Onkel väterlicherseits entpuppt, sofort auf tat¬
kräftige Unterstützung hoffen, für die der Onkel sogar eine Auszeit vom Eremitendasein
in Kauf nimmt:
Liebe frouwe/ jr sint myn nyfftel. Uwer vader ist myn brüder/ Dar vmb wil ich die cluse lassen/ vnd
wil mit uch geen Constantinopel zü vwerm vader/ vnd da wil ich mit myme brüder so viel reden/das
wir so viele lüde wollen züsamen brengen/ das wir über den konnig von Franckrich wollen ziehen/
vnd wil üch dan der konnig nit wider nemen/ so wollen wir yme sin lant alles gar verderben/ Wan das
geschieht/ dan wil ich widder her jnne geen/ vnd wil dan myn penitencie dragen/ (150)
Gleichzeitig aber erweisen sich genealogische und dynastische Bindungen, auch Ehe-
Bündnisse, als brüchig und unzuverlässig gegenüber Freundschaft - speziell unter Män¬
nern —, gegenüber Liebe und nicht zuletzt der Treue der Untertanen. — So wird Sibille oh¬
ne weiteres Gerichtsverfahren von ihrem Ehemann, ,künigk Karl£, auf Anraten seiner
schlechten Räte zum Feuertod verurteilt, bevor die treuen Vasallen Sibilles Verbannung
mit Rücksicht auf ihre Schwangerschaft durchsetzen können. Freilich ist dies zugleich
auch eine Eheschließung, der nicht vorausgeht, was etwa die Verbindungen von Löw und
Florentina im Herpin oder Hug und Marie im Hug Schapler auszeichnet: dass nämlich das,
was aus dynastischer Raison wünschenswert wäre, quasi im Vorgriff durch spontane emo¬
tionale Zuneigung zwischen den zukünftigen Ehegatten, speziell durch die explizite Zu-
6 Zitiert nach Haubrichs, Wolfgang: „Kurze Forschungsgeschichte zum literarischen Werk der Elisabeth
von Nassau-Saarbrücken“, in: Flaubrichs/Herrmann/Sauder (Hg.): Zwischen Deutschland und Frankreich
(wie Anm. 1), S. 17-40, hier S. 20.
7 Ebd., S. 20.
<s Vgl. von Bloh: Ausgerenkte Ordnung (wie Anm. 1), S. 18.
273