verschwenderisch ausgestattete Psalter-Handschrift des Stockholmer Nationalmuseum'
aus dem um die Mitte des 13. Jahrhunderts arbeitenden Atelier des Oxforder Buchmalers
William de Braile gleicht im Textbestand auffällig dem New Yorker Cursus Sanctae Mariae-
Manuskript: Auf einen Kalender folgen der Psalter, die Cantica, das Athanasianische
Glaubensbekenntnis und die Litanei. Reste des einst wie in New York dazugehörenden,
dem Text vorausgehenden Bilderzyklus, ursprünglich wohl etwa 100 ganzseitige Illustra¬
tionen, befinden sich heute an anderen Orten.“' Und wie die Zyklen in New York und
Detroit sind auch diese Miniaturen mit volkssprachlichen Beischriften in anglonormanni-
schem Französisch versehen. So steht z.B. über der Illustration (Abb. 5), auf dem die von
einem Engel geleiteten Landtiere die Arche besteigen:“4 ceo est l’arche noe\ darunter wird der
Bildinhalt ausführlich erläutert: de cumanda noe fer un arche a tres astages e ke il meist lens lui e sa
ferne e sa treis fiy. cham e sam e iafet e lurfemmes e de bestes e de volatilie ii e Wenn wir von der
Gebrauchssituation der vergleichbaren lateinisch-deutschen Bilderhandschriften rück¬
schließen, so könnten es auch hier weibliche Benutzerinnen gewesen sein — dem hohen
Ausstattungsniveau nach adelige Damen —, die, vergegenwärtigt in der Volkssprache, das
nachgerade körperlich Vorgestellte zur lateinisch vermittelten Andachtspraxis in Bezie¬
hung setzten. Es ist dies eine Praxis, die die quasi orthodoxe Gültigkeit und Legitimität
des Lateins als verbindliche Sprache der Glaubenswahrheit mit dem Erfahrungs- und
Emotionsgehalt der Volkssprache verschränkt und dazu der Vermittlungsinstanz des
Bildmediums bedarf.
2. Die Frau in der Handschrift: Gebetbücher im Gebrauch von Frauen
Der Psalter war die Standardlektüre zum Erwerb der Lesefähigkeit - auch von Frauen.
Und Psalterien“' wie die erwähnten, bestehend aus einem Kalender, einem bibelgeschicht¬
lichen Bildvorspann, den 150 Psalmen und — neben verschiedenen Gebeten — gewöhnlich
der Litanei und der Totenoffizin, sind die Vorläufer der späteren Stundenbücher, der gut
300 Jahre lang beliebtesten und verbreitetsten Buchgattung des Mittelalters und der frü¬
hen Neuzeit. Von der Mitte des 13. bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts wurden mehr
Stundenbücher in Auftrag gegeben und produziert, handschriftlich und später auch im
Druck, gekauft und verkauft, geschenkt und vererbt als jeder andere Text, die Bibel einge¬
schlossen.“ Denn obgleich Geistliche oder in welcher Funktion auch immer in kirchliche
22 Stockholm, Nationalmuseum, B. 2010. Siehe Cockerell, Sidney C.: The Work of William de Traites. An Eng¬
lish Illuminator of the 'Thirteenth Century, Cambridge 1930, S. 1115; Morgan, Nigel ).: Early Gothic Manuscripts
1190-1250. A Survey of Manuscripts Illuminated in the British Isles, Bd. 4, London 1982, Nr. 68.
23 24 Einzelblätter, die Henry Walters 1903 im Pariser Kunsthandel erworben hatte, befinden sich im Wal¬
ters Art Museum in Baltimore (Ms. W. 106), sieben im Pariser Musée Marmottan Monet (o. Sign.).
Faksimile: Noel: The Oxford Bible Pictures (wie Anm. 20).
24 Baltimore: The Walters Art Museum, Ms. W. 106, Bl. 2r.
25 Gott befahl Noah, eine dreistöckige Arche zu bauen, und er brachte da hinein sich selbst, seine Frau und
seine drei Söhne Ham, Sem und Jafet nebst ihren Frauen und Tiere und Vögel, je zwei.
26 Zur Psalterillustration siehe Büttner, Frank O. (Hg.): The Illuminated Psalter. Studies in the Content, Purpose
and Placement of its Images, Turnhout 2004.
2 Siehe dazu Wieck: Painted Prayers (wie Anm. 12), S. 9. Siehe außerdem zum Stundenbuch: Plotzek,
joachim M.: Andachtsbücher des Mittelalters aus Privatbesit^ (Ausstellungskatalog Schnütgen-Museum Köln),
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