Eine Fürstin spricht
Die Erzählungen und Briefe Elisabeths von Nassau-Saarbrücken
Nine Miedema
1. Einleitung
Im Zentrum der vorliegenden Überlegungen stehen die Prosa-Erzählungen der Elisabeth
von Nassau-Saarbrücken — Texte, denen erst in den letzten Jahrzehnten allmählich mehr
Aufmerksamkeit geschenkt worden ist.1 * Es darf als symptommatisch für das Desinteresse
weiter Bereiche der germanistischen Forschung für Elisabeth von Nassau-Saarbrücken
gelten, dass sie in Sammelbänden wie Women as Protagonists and Poets oder auch in Claudia
Spanilys Studie Autorschaft und Geschlechterrolle. Möglichkeiten weiblichen Uteratentums im Mittel-
alter gar nicht erst erwähnt wird. Dass dagegen LTrsula Liebertz-Grün im Lexikon Deutsche
Literatur von Frauen festschreibt, Elisabeths Huge Scheppel sei „in einem munteren Plauder¬
ton erzählt“, beweist weniger die angeblich geringe literarisch-ästhetische Qualität der
Erzählungen (die ohnehin kein ausschlaggebendes Argument gegen die wissenschaftliche
Beschäftigung mit Texten in ihrem historischen Kontext sein sollte) als vielmehr die er¬
heblichen Defizite, die die wissenschaftlichen Analysen der Poetik solcher Erzählungen
bisher aufweisen.4 Zu Recht wurde jüngst etwa die „Untersuchung des spezifischen
1 Siehe insbesondere der folgende Sammelband, der der Forschung entscheidende neue Impulse verlieh:
Haubrichs; Wolfgang / Herrmann, Hans-Walter / Sauder, Gerhard (Hg.): Zwischen Deutschland und Frank¬
reich. Elisabeth von Eothringen, Gräfin von Nassau-Saarbrücken (Veröffentlichungen der Kommission für Saar¬
ländische Landesgeschichte und Volksforschung e.V. 34), St. Ingbert 2002. Als die wichtigsten früheren
Forschungsbeiträge zu Elisabeths Prosaerzählungen sind zu nennen: Müller, )an-Dirk: „Held und Ge¬
meinschaftserfahrung. Aspekte der Gattungstransformation im frühen deutschen Prosaroman am Bei¬
spiel des Flug SchapleC, in: Daphnis 9 (1980) S. 393-426; Ders.: „Gattungstransformation und Anfänge
des literarischen Marktes. Versuch einer Theorie des frühen deutschen Prosaromans“, in: Vorstand der
Vereinigung der deutschen Hochschulgermanisten (Hg.): Textsorten und literarische Gattungen. Dokumentati¬
on des Germanistentages in Hamburg vom 1. bis 4. April 1979, Berlin 1983, S. 432-449; Ders.: „Volksbuch /
Prosaroman im 15./16. Jahrhundert. Perspektiven der Forschung“, in: Internationales Archiv für Sofialge-
schichte der deutschen Literatur, 1. Sonderheft: Forschungsreferate (1985) S. 1-128; Ders.: „Späte Chanson de
geste-Rezeption und Landesgeschichte. Zu den Übersetzungen der Elisabeth von Nassau-Saarbrücken“,
in: Wolfram-Studien 11 (1989) S. 206-226; Gaebel, Ulrike: Chansons de geste in Deutschland. Tradition und De¬
struktion in Elisabeths von Nassau-Saarbrücken Prosaadaptationen, Diss. FU Berlin 1999 (im Netz unter den
digitalen Dissertationen der FU Berlin zugänglich: http://deposit.ddb.de/cgi-bin/dokserv?idn=96365
9863); Bloh, Ute von: Ausgerenkte Ordnung. Fier Prosaepen aus dem Umkreis der Gräfin Elisabeth von Nassau-
Saarbrücken: Herzog Herpin, Loher und Maller, Huge Scheppel, Königin Sibille (Münchener Texte und Untersu¬
chungen zur deutschen Literatur des Mittelalters 119), Tübingen 2002.
2 Classen, Albrecht (Hg.): Women as Protagonists and Poets in the German Middle Ages. An Anthology oj Feminist
Approaches to Middle High German Literature (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 528), Göppingen 1991;
Spanily, Claudia: Autorschaft und Geschlechterrolle. Möglichkeiten weiblichen Uteratentums im Mittelalter (Tradition
— Reform - Innovation 5), Frankfurt am Main / Berlin / Bern u.a. 2002.
Liebertz-Grün, Ursula: „Höfische Autorinnen“, in: Gisela Brinker-Gabler (Hg.): Deutsche Uteratur von
Frauen, Bd. 1: Fom Mittelalter bis gum Ende des 18. Jahrhunderts, München 1988, S. 39-64, hier S. 58.
4 Vgl. bereits Müller: „Volksbuch / Prosaroman“ (wie Anm. 1), S. 15-25, S. 29, S. 50-61, zum auch heute
noch nicht gelösten Problem, dass die „besonderen Kunstregeln“ (ebd., S. 16), die für eine Gattung des
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