des grenzüberschreitenden Netzwerks kognatisch verflochtener Dynastien ihren Platz
einzunehmen.14 Dass dieser Platz selten frei gewählt war, dass der Betroffenen im Vorfeld
meist nur der Part des Trumpfs in der Hand männlichen Familien- und Herrschaftskal¬
küls zukam, ist nachgerade ein Gemeinplatz. Wichtig scheint mir aber auch der damit zu¬
sammenhängende, in seinen kultur- und mentalitätsgeschichtlichen Folgen bislang kaum
erfasste, geschweige denn systematisch ausgelotete, Begleiteffekt: Eben weil es bei überre¬
gional arrangierten Fürstenehen strukturbedingt stets der weibliche Part ist, dem die Reise
ins Neue, mitunter herausfordernd Fremde auferlegt war, bringt dieser auch immer schon
einen kulturellen Wissens- und Erfahrungsschatz mit, der dem neuen Umfeld fremd ist,
so wie er sich gleichzeitig einen neuen erwirbt, den die frühere Heimat nicht kennt. Die
vielzitierten ,verkauften Töchter1, die Opfer höherer Politik und maskuliner Allianzdiplo¬
matie, entwickeln damit fast zwangsläufig eine Art kulturelle Doppelkompetenz (wobei
hier von bereits sehr jung, also ohne vorausgehende heimische Sozialisation und Bildung
in die Fremde Geschickten einerseits, schon sprachlich im neuen Ambiente nie heimisch
Werdenden andererseits1'' abzusehen ist).
Mit diesem Befund scheinen mir die oben festgestellten literarhistorischen Pionier- und
Vermittlerleistungen gerade von Mäzen/»«en ursächlich zusammenzuhängen. Dazu
kommt ein Weiteres: In der Situation des aufgenötigten oder als Bestimmung erfahrenen
Orts- und Rollenwechsels bietet die Literatur (neben und vor anderen Künsten) den Be¬
troffenen einen potentiell wirksamen und offenbar vielfach als willkommen empfundenen
Rückhalt: Sie stellt probate Mittel bereit, die alten Erfahrungen mit den neuen Herausfor¬
derungen zur Deckung zu bringen, das Eigene in der Fremde zu bewahren, bedrohte Bin-
14 Opitz: „Familienzwist“ (wie Anm. 13) umriss plastisch die Folgen solcher ,Patrilokalität‘: „[Sie] garantier¬
te den Knaben und jungen Männern den gewohnten psycho-sozialen Hintergrund, den die Mädchen
einbüßten... So hatten Mißgeschicke und Schicksalsschläge, wie der Tod der Verlobten, weit weniger
Flinfluß auf die Lebensumstände junger Männer als auf die der Mädchen und jungen Frauen. Ihr soziales
Prestige, ihr persönliches Umfeld, ihre Lebensgestaltung hingen allein an einer ehelichen Verbindung,
während jene der Familie, der sie entstammten, bruchlos zugehörig blieben“ (S. 128). Vgl. auch Walsh:
„Verkaufte Töchter“ (wie Anm. 13), S. 131 f, und Spieß: „Unterwegs“ (wie Anm. 13), S. 32ff. und passim
(hier mit besonderem Akzent auf Fremdheit und Fremdheitserfahrungen der ,verschickten Bräute4).
15 Vgl. zu dieser Abgrenzung schon Spieß: „Unterwegs“ (wie Anm. 13), S. 19f. — Selbst wo frühe Plheab-
sprachen, ja sogar schon per procurar» geschlossene Flhen existieren, ist die frühe Ausfahrt aber keineswegs
die Regel; oft bleibt die Braut noch lange in der eigenen Familie. Flin Beispiel (viele andere liefert die
oben, Anm. 13, genannte Literatur) bietet für die Zeit um 1300 die Tochter Rudolfs von Habsburg, Guta
(geboren 1271), die nach dem Tod Przemysl Ottokars II. in der Schlacht von Dürnkrut (1278) in Ab¬
sprache zwischen dessen Witwe Kunigunde und Rudolf als Siebenjährige dem (immerhin gleichaltrigen)
Sohn Ottokars, Wenzel II., anverlobt wurde. 1281 wurde sie mit ihm vermählt, erst 1285 aber fand die
Hochzeit in Eger statt und erst zwei weitere Jahre später, 1287, ließ sie der Vater mit österreichischem
Gefolge nach Prag übersicdeln. Ihre prägende Bildung und Sozialisation hatte Guta trotz früher Verhei¬
ratung also zu Hause erfahren. Als wohl maßgebliche Mäzenin nahm sic später inhaltlich signihkanten
Einfluss auf den Willhelm von IFLWtw-Roman des deutschen Hofdichters Ulrich von Etzenbach; hierzu
vgl. Herweg, Mathias: Wege pur Verbindlichkeit. Studien pum deutschen Roman um 1300 (Imagines medii aevi
25), Wiesbaden 2010, Kap. 5.3.
16 Vgl. Walsh: „Verkaufte Töchter“ (wie Anm. 13), die in den „Komponenten Sprache und Sprachbeherr-
schung“ die entscheidenden Kriterien echter Teilnahme und Mitbestimmung der fremden Braut in ihrem
neuen Lebensumfeld sieht (S. 132).
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