tos von Passau Die vierundrywantfg Alten, dem buch der Tugenden, Johannes Niders Die
vierund%wan%iggoldenen Harfen und mehr als 30 anderen deutschsprachigen geistlichen Wer¬
ken — Quellentexte also, die man, mit Ausnahme vom Traktat „Schwester Katrei“ und
Albrecht von Eybs Bhebüchlein, als konventionelle oder ,normative4 geisdiche Literatur des
14. und 15. Jahrhunderts bezeichnen könnte.4
Im Vergleich mit den verschiedenartigen Textsammlungen in Gotha I und II, in der die
Texte sukzessiv aneinandergereiht sind, ist Dorotheas Werk eine integrative Kompilation,
die Textstücke ihrer Quellen zu kontinuierlicher Prosa formt. Hierbei sind weder Über¬
gänge zwischen Exzerpten aus dem gleichen Werk noch Übergänge zwischen verschiede¬
nen Werken gekennzeichnet. Auch die Autoren der Quellen bleiben ungenannt. In 49 von
53 Kapiteln wird je ein bestimmtes Thema vorgestellt, dessen positive und negative As¬
pekte erklärt und begründet und anschließend mit Dicta der Kirchenväter und anderer
ekklesiastischer Autoritäten belegt werden. Die vier letzten Kapitel bilden narrative Texte
mystischen Inhalts, die durch kürzendes Edieren bearbeitet wurden. Die Gesamtstruktur
beinhaltet die drei christlichen Tugenden, die vier Kardinaltugenden, je neun Tugend- und
Lasterkapitel sowie Verhaltensmaßregeln unter anderem für Beichte, Reue und Buße und
für den Rückzug aus der Welt. Das Werk verfügt über eine 20-seitige Vorrede und ein de¬
tailliertes Inhaltsverzeichnis mit Folioangaben, die ebenfalls von Dorothea geschrieben
wurden.
Wir haben es also mit zwei schreibenden Frauen zu tun, die sich für geistliche Texte in¬
teressierten.Is Die gemeinsamen Interessen manifestieren sich konkret am Werk des Fran¬
ziskaners Otto von Passau Die vierundgwangig Alten (1383).4 J So taucht es nicht nur in Mar-
gerethes Bücherverzeichnis auf, sondern stellt auch eines der Hauptquellenwerke für
Dorotheas Kompilation dar A Es kann also als gesichert gelten, dass beide Frauen das
Werk des Franziskaners kannten und gelesen hatten. Die literarischen Produkte Margare¬
thes und Dorotheas sind jedoch sehr verschieden.
Schon äußerlich lässt die Art und Weise sowohl persönlicher als auch geistlicher Auf¬
zeichnungen erkennen, dass jede Schreiberin eigene religiös motivierte Ziele verfolgte.
Margarethes Eintragungen erscheinen zunächst planlos, direkt und unstrukturiert. Als sie
die Todesnachrichten auf bereits teilweise beschriebene Seiten einträgt, rückt sie ihren
Text aus Platzgründen dicht an die älteren Eintragungen, wie z.B. das Inhaltsverzeichnis,
heran. Auch das Allianzwappen, das sich unter dem Inhaltsverzeichnis befindet, ragt in
den ,neuen4 Text hinein. Margarethes Schrift ist im Vergleich zu der des Schreibers unver¬
hältnismäßig groß und macht einen ungeübten informellen Eindruck.
4" Vgl. Simon, Otto: Überlieferung und Handschriftenverhältnis des Traktates „Schwester Katrei“. Ein Beitrag %ur Ge¬
schichte der deutschen Mystik, Halle 1906. Albrecht von Eyb, „Ob einem manne sey s^unemen ein eelichs weyb oder
nicht“. Mit einer Einführung %um Neudruck (Texte zur Forschung 36). Helmut Weinacht (Hg.), Darmstadt
1982.
48 Teilweise wurden in der professionellen Kompilation von Gotha I Texte verwendet, die auch Dorothea
benutzte: St. Georgener Predigten, der (pseudo?-)eckhartsche Traktat „Von Abgescheidenheit“, Auszüge
aus den Predigten Meister Eckharts.
49 Schnyder, André: „Otto von Passau OFM“, in: Verfasserlexikon 7 (1989) Sp. 229-234.
50 Gotha, FB, Chart. B 237 I, f. 1 18v. Haubrichs: „Pilgerfahrt“ (wie Anm. 4), S. 534, Fechter: Dorothea von
Hof (wie Anm. 24), S. 68f.
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