Stählers Ansatz nähert sich der weltlichen Laienfrömmigkeit durch deren Einfluss auf ver¬
schiedene lebens-prakdsche Ebenen an, wie der Gestaltung des Kircheninnenraums und
der Schaffung privater Andachtsräume im eigenen Haus, und betrachtet die textuelle
Ebene nicht als isoliertes, sondern als integriertes Element. Die verschriftlichte Fröm¬
migkeit der Margarethe von Rodemachern und der Dorothea von Hof soll deshalb hier
auch nur als ein Aspekt ihrer Frömmigkeitspraxis betrachtet werden, die durch andere
Elemente wie Stiftungen, Totengedenken und Buchbesitz unterstützt werden.
Die Überlieferungssituation zeigt, dass sich schreibende Frauen, die geistliche Texte
durch Kopieren, Exzerpieren oder durch göttliche Inspiration produzierten, hauptsächlich
in religiösen Institutionen finden lassen. So hielt die Devotio modema-Bewegung ihre Mit¬
glieder akdv zur Niederschrift spiritueller Texte in persönlichen Rapiarien an, und auch
die vom Dominikanerorden ausgehenden Reformbestrebungen machten eine Vervielfälti¬
gung didaktischer, dem Tugendstreben gewidmeter Texte für geistliche und weltliche Lai-
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en notig.
Indizien, die uns einen Einblick in das geistliche Leben weltlicher Laien verschaffen,
gründen sich oft auf deren Bücherbesitz, der gelegentlich in Klosterbibliotheken erhalten
blieb, wenn diejenige, die sich für ein Leben im Kloster entschied, ihre Bücher entweder
selbst stiftete oder an dort lebende Verwandte vermachte. Das intensive literarische Inter¬
esse der Laien am Kopieren von Texten und Büchern für den eigenen Gebrauch bezeu¬
gen erhaltene Privatbibliotheken wie die der Katharina Tücher. Die fast 60-jährige Witwe
eines wohlhabenden Tuchfärbers trat nach 1440 als Laienschwester (wegen ihres fortge¬
schrittenen Alters nicht als Nonne) in das Nürnberger Katharinenkloster ein und brachte
mindestens 26 geistliche Handschriften mit." Als Witwe in der Welt fand ihre Frömmig¬
keit zum einen Ausdruck in Form ihrer aufgezeichneten Offenbarungen,1 zum anderen
im Kopieren von geistlichen Handschriften für ihren persönlichen Gebrauch. Die Auf¬
zeichnungen spiritueller Erfahrungen durch Mystikerinnen sind dem Sammeln von Lese¬
früchten oder dem Kopieren spezifischer erbauungspraktischer Texte natürlich nicht ver¬
gleichbar, da Dokumente persönlich erfahrenen visionären Inhalts als Zeugnis und Vor¬
bild spirituell Fortgeschrittener gelten, während das ,Blümen‘ und das Abschreiben als
eher rationale Formen der Wissensaneignung zur Annäherung an Gott dienen.1'
Die am schwersten einzuschätzende Art der weltlichen Laienfrömmigkeit ist jedoch
diejenige, welche sich weder in großen erinnerungswürdigen Stiftungen äußerte, noch im
lü Siehe Bollmann, Anne: ,„Being a Woman on my Own‘: Alijt Bake (1415-1455) as a Reformer of the In¬
ner Seif“, in: Anneke B. Mulder-Bakker (Hg.): Seeing and Knomng: Women and Leaming in Medieval Europe
1200-1550 (Medieval Women 11), Turnhout 2004, S. 67-96; Van Engen, John: „Friar Johannes Nvder on
Lavpeople IJving as religious in the world“, in: Franz J. Felten / Stephanie Haarländer (Hg.): Vita religiosa
im Mittelalter: Festschrift für Kaspar Elm •%um 70. Geburtstag (Berliner historische Studien 31), Berlin 1999,
S. 583-615.
11 Williams, Ulla / Williams-Krapp, Werner: Die ,Offenbarungen‘ der Katharina Tücher (Untersuchungen zur
deutschen Literaturgeschichte 98), Tübingen 1998, S. 14.
12 Ebd.,S. 21.
13 Müller, Jan-Dirk: „Auctor — Actor - Author. Einige Anmerkungen zum Verständnis vom Autor in latei¬
nischen Schriften des frühen und hohen Mittelalters“, in: Felix Philipp Ingold / Werner Wunderlich
(Hg.): Der Autor im Dialog. Beiträge %u Autorität und Autorschaft, St. Gallen 1995, S. 17-31.
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