Dieter Kremer
Mittelalterlicher Ortsnamenwechsel auf der Iberi¬
schen Halbinsel
0. Gibt es überhaupt Namen ohne Interferenz? Gewiss nicht, es sei denn man
schränke die Bedeutungsvielfalt bewusst ein. Die Organisatoren dieses Kollo¬
quiums stellen Namen in Grenz- und Begegnungsräumen in Geschichte und
Gegenwart in den Mittelpunkt. Dabei geht es insbesondere um sprachliche
und damit auch ethnische Kontakte, die gerade bei den Namen - Personen¬
namen vor allem, aber auch Ortsnamen - greifbar werden können und die mit
einem weiteren, derzeit modischen Schlagwort: .Akkulturation4 im Zusam¬
menhang stehen. Natürlich lässt sich das Thema ,OrtsnamenwechseT, das ich
vorgeschlagen hatte, historisch, ethnisch, sprachlich der Interferenz unter¬
ordnen. Doch war diesem Thema bereits einmal eine Tagung des Arbeits¬
kreises - das Bamberger Kolloquium von 1986 - gewidmet, an der ich (ich
erinnere mich nicht mehr aus welchen Gründen) schließlich nicht teilnehmen
konnte. Jedenfalls hatte ich aus diesem Anlass eine relativ umfangreiche
Dokumentation zusammengestellt, sie dann aber liegen gelassen. Da ich auch
hier leider wieder den bedeutenden europäischen (und auch außereuro¬
päischen) Kulturraum Iberische Halbinsel allein vertrete, möchte ich auf diese
Dokumentation zurückgreifen, sie knapp einordnen und an wenigen Beispie¬
len bestimmte historische Auslöser und sprachliche Mechanismen andeuten.
Die Beispiele, auf die ich mich im Folgenden beziehe, entnehme ich der im
Anschluss beigefügten Dokumentation, die zusätzlich wenige ergänzende
Angaben enthält.
1. Die genauere Kenntnis der komplexen Geschichte der Iberischen Halbinsel
ist natürlich Voraussetzung für eine eingehendere Betrachtung. Doch reicht in
diesem Zusammenhang vielleicht die kurze Erinnerung an die wichtigsten
historischen Schichten oder Straten des Gesamtraums:
Der Romanisierung und Latinisierung, Basis für die heutige sprachliche
Situation, geht die ethnische und sprachliche Gliederung des vorrömischen
Hispanien voraus, deren Einzelheiten beileibe noch nicht alle bekannt oder
aufgearbeitet sind. Charakteristisch ist die Unterscheidung in fünf große
Regionen: die östliche Iberia, das südliche Tartessos, das westliche Lusita-
nien, die zentrale Celtiberia und die nördlichen ,Gebirgsvölker‘ von Galicien
und Asturien über Kantabrien bis zum heutigen Baskenland, Navarra und
Aragon. Bis auf das Baskische gehen alle Sprachen unter, doch sind sie als
Substratsprachen Ausgangspunkt für die heutige sprachliche Situation mit vier
offiziellen spanischen Sprachen und dem Portugiesischen. Auf die vollstän¬
dige Romanisierung folgen, als Superstrate, die germanische und die arabische
Phase, die natürlich auch sprachliche Spuren hinterlassen haben, allerdings
das ,Romanische1 nicht bedrängen konnten. Schließlich folgt die mittelalter¬
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