Eines der phonetisch-phonologischen Phänomene, die den Grad der Akkul-
turation und Assimilation der germanischen Zuwanderer an die romanische
Umgebung bzw. das Maß der germanisch-romanischen Interferenz wider¬
spiegeln können,* 4 * ist die grapho-phonetische Wiedergabe, konkret die Erhal¬
tung oder aber die Umwandlung von germ. /w/ in den langobardischen
Anthroponymen bis zum Jahre 774. Germ. /w/ bleibt sowohl im Bereich der
Lexik als auch bei Personennamen normalerweise erhalten, kann aber auch
einem eindeutigen Romanisierungsprozess unterworfen werden, woraus etwa
die Form <gu> resultieren kann. Je nach Stellung im Wort kann germ. /w/
außerdem noch verschiedene andere Formen annehmen. Wenn sich etwa der
Halbvokal /w/ im Anlaut im zweiten Teil zusammengesetzter Namen findet,
nimmt er gewöhnlich vokalischen Wert an. Eine eingehende Untersuchung
der grapho-phonetischen Wiedergabe des Halbvokals Av/ unter Beachtung der
diatopischen Verteilung und der Chronologie der jeweiligen Quellen wird
wahrscheinlich eine differenziertere Bewertung dieses Phänomens ermög¬
lichen. Es soll also im Folgenden der Frage nachgegangen werden, mit wel¬
chen Graphien germ. Av/ wiedergegeben wird; dabei muss vor allem nach der
jeweiligen Position des /w/ - Initialstellung oder Anlaut des Zweitgliedes
eines komponierten Namens - differenziert werden. Weitere Kriterien sind die
Chronologie der Belege und ihre sprachgeographische Distribution.
Das von mir zu diesem Zweck zusammengestellte und untersuchte Korpus
besteht vor allem aus den langobardischen Personennamen, die in den Urkun¬
den des Codice Diplomatico Longobardo (568-774) überliefert sind/ Urkun¬
den, die nach 774 entstanden sind, d.h. nach dem Ende des langobardischen
Reiches in Norditalien, - auch wenn sie zum Teil noch reiches langobardi-
sches Sprachmaterial enthalten - habe ich nur selten und unter ganz be¬
stimmten Umständen in die Diskussion mit einbezogen; gegen die Verwen¬
dung dieses Materials spricht z.B., dass man nach 774 u.a. in verstärktem Um¬
fang mit Namen aus anderen germanischen Traditionen - etwa fränkischen
oder alemannischen - rechnen muss/1 Weitere, ergänzend analysierte Quellen
sind das im Jahre 560 von Prokop verfasste Werk Bellum Gothicum (im Fol¬
genden: Prokop), ' die vor 671 entstandene anonyme Origo gentis Langobar-
dorum (im Folgenden: OGL),8 der Prolog des Edictus Rothari (643, im Fol¬
Onesti 1994, 1999, 2004, 2005; Haubrichs 2004ab, 2005, 2008, 2009; Jamut 1972;
Petracco Sicardi 1977, 1981 und Wagner 1986, 1987, 1992, 2000 relevant. Grund¬
legende Sammlungen für die Onomastik des frühen Mittelalters sind: Förstemann
1900; Schönfeld 1911; Kaufmann 1968; Reichert 1987-1990.
4 Vgl, dazu zusammen fassend Goetz/Haubrichs 2005, Teil 1, S. 1-50.
Im Folgenden CDL genannt.
6 Vgl. dazu Arcamone 1972, S. 247-260.
Ed. Haury/Wirth, II, Leipzig 21963.
x Ed. Bracciotti 1998.
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