Civitas Ubiorum scheint daher, wie vieles andere, keltische Hinter¬
gründe zu haben - mögen diese transalpin-indigenen Ursprungs oder
importiert sein. Zudem passt sie zu dieser Art von Fruchtbarkeits¬
kulten, in denen theriomorphe Ausprägungen von Gottheiten eine
Rolle spielten. Insbesondere die Ziege als Begleiterin von Fruchtbar¬
keitsgöttinnen ist ein ,Leitmotiv1 frühgeschichtlicher Religionen, fer¬
ner der Bock als das befruchtende Prinzip, die Ziege als das nähren¬
de,81 83 man denke an Amaltheia, die Amme des Zeus und, etwas weiter
metonymisch abstrahiert, das auf den Matronensteinen außerordentlich
häufig anzutreffende Signum des Füllhorns (das Horn Amaltheias).
Die frühgeschichtlich orientierte Sprachkontaktforschung hat herausge¬
stellt, dass: ,,[t]he vitality and persistance of fertility cults is a characteristic of
contact situations.“8' Dies vor allem unter zwei Gesichtspunkten: Zum einen
scheinen in religiöser Hinsicht vor allem fruchtbarkeitsbezogene Bräuche am
wenigsten von gegenseitiger Neutralisierung in Kontaktsituationen betroffen
zu sein, zum anderen führen Kontaktsituationen sozusagen zur verstärkten
Klumpenbildung, insofern sich kleinere bis mittelgroße Gruppierungen
formieren, die, wie wohl auch in unserem Fall, in der Form der erwähnten
Kurien, Personalverbänden auf erweiterter Familienbasis, um die Aufrechter¬
haltung religiöser Praktiken bemüht sind. Dass es insbesondere fruchtbarkeits¬
bezogene religiöse Praktiken sind, die vor andere Praktiken zu stehen ge¬
kommen sind, hat basale ökonomische Gründe. Die Matronengottheiten hatten
für Erntesegen und den Schutz des Einzelnen und vor allem der sozialen
Gruppe zu sorgen, sie waren, wie es Friedrich Drexel schon 1922 formuliert
hatte, gewissermaßen „Bauernheilige11, die einen „stark ländlichen oder ge¬
radezu landwirtschaftlichen Charakter11 trugen.8:1 Sie waren die attraktiven
Gottheiten der kleinen, ländlichen Kultanlagen im Umkreis der Villen. Dass
es eine Matronentriade, die Bonner Aufanien mit ihrer bislang höchsten
Belegzahl, gewissermaßen zu höheren Ehren gebracht hat, liegt nicht, wie
man früher angenommen hat, in deren scheinbar prototypischer Wesensart, die
81 Eliade, Mircea: Patterns in Comparative Religion, Cleveland / New York 1970;
Polome: „Some aspects“ (wie Anm. 42), S. 199.
8~ Markey, Thomas L.: „Social Spheres and National Groups in Germania11, in:
Heinrich Beck (Hg.): Gennanenprobleme in heutiger Sicht, Berlin / New York
1986 (Ergänzungsbände zum Reailexikon der germanischen Altertumskunde 1), S.
248-266, hier S. 257.
83 Drexel, Friedrich: „Die Götterverehrung im römischen Germanien“, in: Berichte
der Römisch-Germanischen Kommission, vierzehnter Bericht 1922, Berlin 1923, S.
1-68, hier S. 44. Auch Sonderfunktionen der Matronen sind wohl anzunehmen, so
wie Nehalennia/Isis gleichzeitig für Fruchtbarkeit und Schutz der Seefahrenden
zuständig war. Eine eher eindimensionale Funktionalität im Matronenkult vermutet
Woolf: „Local Cult“ (wie Anm. 31), S. 136 und passim, jedoch spärlich begründet.
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