heimischen Kulte dazu dienten, „einen Teil der ethnischen und persönlichen
Identität zu bewahren, nicht in der Vielfalt anderer religiöser und ethnischer
Gruppen aufgesogen zu werden, sondern als Thraker oder Syrer in einer
zunächst fremden Umwelt bestehen zu können“ - wie es etwa Peter Herz für
Soldaten aus dem Osten formuliert.30 Greg Woolf geht in dieser Beziehung
gar noch einen Schritt weiter und vermutet im Matronenkult eine bewusste
Reaktion auf den Kosmopolitismus der germanischen Provinzen im spätrömi-
sehen Reich, einen gesteigerten Regionalismus und führt dazu den Vergleich
mit neuzeitlichem religiösen Fundamentalismus. Die Matronennamen seien
dabei in ihrem klassisch römischen Überlieferungskontext „something of a
shock“, der aber „deliberately engineered“ sei,31 32 und ferner: „The goddesses
are enigmatic, their epithets unfamiliar, perhaps ostentatiously difficult to
pronounce.“3" Damit ist eine relativ radikale Sichtweise eröffnet, die aber in
ihrem Kern durchaus bedenkenswert ist, insofern die Gruppenvereinzelung,
wie ich sie hier nennen möchte, nicht in jedem Fall in einer frühgeschichtlich-
vorrömischen Bevölkerungsstruktur verwurzelt sein muss, sondern das Bild
einer noch nicht konsolidierten multiethnischen Gesellschaft darstellt. Deren
Elemente stehen dabei nur bedingt in Widerstreit. Der Matronenkult repräsen¬
tiert einen Weg der Identitätsbewahrung zwischen römisch-imperialem
Lebensstil und lokaler Verwurzelung, der so attraktiv war, dass er früh über
fundamentalistische Züge hinauskam und ernsthafte Alternativen zum Kaiser¬
kult, zum klassischen römischen Religionswesen und anderen etablierten Reli¬
gionsformen bot. Die Matronenreligion entstand aber bei aller Produktivität
und exotischer Attraktivität nicht aus dem Nichts heraus, sondern führte
vielerlei Anlagen unterschiedlichster Ausprägung zusammen. Vor allem muss
man davon ausgehen, dass eine - vielleicht präanthropomorphe - Form des
Matronenkults beziehungsweise dessen religiöses Konzept schon vor dem Er¬
scheinen der Römer im Rheingebiet existiert hat."
311 Herz, Peter: „Einheimische Kulte und ethnische Strukturen. Methodische Über¬
legungen am Beispiel der Provinzen Germania Inferior, Germania Superior und
Belgica“, in: Heinz E. Herzig / Regula Frei-Stolba (Hg.): Labor omnibus unus.
Gerold Walser zum 70. Geburtstag dargebracht von Freunden. Kollegen und Schü¬
lern (Historia, Einzelschriften 60), Stuttgart 1989, S. 206-218, hier S. 207.
31 Woolf, Greg: „Local Cult in Imperial Context: The Matronae Revisited“, in: Peter
Noelke (Hg.): Romanisation und Resistenz in Plastik, Architektur und Inschriften
des Imperium Romanum. Neue Funde und Forschungen. Akten des VII. internatio¬
nalen Colloquiums über Probleme des provinzialrömischen Kunstschaffens, Köln,
2. bis 6. Mai 2001, Mainz 2003, S. 131-138, hier S. 133.
32 Woolf: „Local Cult“ (wie Anm. 31), S. 138.
Vgl. Herz: „Matronenkult“ (wie Anm. 10), S. 146.
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