5. Welche Erscheinungen lassen sich im Bereich der Namenstrukturen im
Verlaufe des Interferenzprozesses beobachten?
Der Entlehnungsprozess* 11* führte bei den Ortsnamen strukturell zu Verän¬
derungen im Vergleich zur westslawischen Ausgangsform. Im Verlaufe des
Integrationsprozesses kam es zu morphematischen Interferenzen und auch zu
semantischen Adaptationen." Bei genauer Betrachtung sind folgende Ent¬
wicklungsschritte differenzierbar:
5.1. Zunächst erfolgt mit Übernahme eines Ortsnamen aus der Ausgangs¬
sprache in die entlehnende Sprache die Transsumtion im mündlichen
Sprachgebrauch. Dabei vollzieht sich - vor allem bei der Verwendung des
übernommenen Ortsnamens aus dem Altsorbischen in der binnendeutschen
Kommunikation - eine phonische Adaptation ans Deutsche. Diese Phase ist
nur sprachgeschichtlich rekonstruierbar, Transsumte sind eben in keinem Fall
durch lautliche Konserve bewahrt worden.
5.2. Der übernommene Ortsname, das Transumt, kann schriftlich fixiert wer¬
den und mittels der in den Kanzleien üblichen graphischen Zeichen die gehör¬
te beziehungsweise angeeignete altsorbische Namenform in den für uns so
wichtigen Quellentexten mit Phonemsubstitution im graphischen Bereich als
Transponat dauerhaft gemacht werden. Es liegt auf der Hand, dass wir für das
Mittelalter mit beachtlichen Varianten bei diesen Aufzeichnungen von Orts¬
namen rechnen müssen, denn neben Schreiberusus ist auch zu bedenken, dass
Ortsnamen nicht nur nach Gehör aus dem Munde von altsorbischen
Sprechern, sondern vor allem wohl auch nach der Lautform aus der bereits
über Generationen verlaufenen binnendeutschen Gebrauchssphäre in Schrift¬
form umgesetzt wurden. Vgl. etwa zu aso. *DoTsk(o) ,Talort‘ die Aufzeich¬
nungen 1154 Dolzke, um 1200 Dolzsc, 1413 Dolczk, heute Dölzig bei Alten¬
burg, oder aso. *Busov- ,Ort eines Bus‘ mit 1256 in Puschowe, 1269 in villa
Bussowe, 1291 Buschow, heute Buscha bei Altenburg.
5.3. Im weiteren Sprachgebrauch innerhalb der binnendeutschen Kommunika¬
tion erfährt der entlehnte Ortsname als Transumt und auch als Transponat eine
weitere Anpassung an das System der entlehnenden deutschen Sprache. Der
ursprünglich altsorbische Ortsname unterliegt quasi unter Einwirkung des
deutschen Sprachsystems einer Attraktion. Es vollzieht sich eine formale
Adaptation mit Morphemsubstitution, wobei die Ortsnamen slawischer Her¬
1(1 Vgl. dazu ausführlicher Hengst, Karlheinz: „Sprachkontakt und Entlehnungs¬
prozess. Ergebnisse der toponomastischen Analyse im deutsch-slawischen Berüh¬
rungsgebiet“, in: Zeitschrift Jur Slawistik 30 (1985) S. 809-822.
11 Zu weiterem Material und Systematisierung vgl. Hengst, Karlheinz: „Interferenz in
der Wortbildung der Toponyme“, in: Onomastica Slavogermanica 11 (1976) S. 17-
24; Ders.: „Zur Integration slawischer Toponyme ins Deutsche“, in: Onomastica
Slavogermanica 13 (1981) S. 21-42.
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