Börßum, Heiningen oder Lühnde das Baltische und Slavische den Anhalts¬
punkt, um Namen deuten zu können, die anders nicht erklärbar sind. Es wird
sich entweder um voreinzelsprachliche Reste einer Sprachschicht handeln, die
besonders enge Beziehungen zum Baltischen und Slavischen besitzen oder
zum Teil besonders gut im Baltischen oder Slavischen bewahrt wurden, d.h.
die zentrale Position des Baltischen belegen45, oder aber - in die germanische
Einzelsprachlichkeit häneinreichend - dazu beitragen, für das Germanische
nur im Baltischen bewahrte Appellative bzw. Stämme zu sichern.
3) Eine dritte Gruppe von Namen schließlich enthält Basen, deren Ver¬
wandte zwar im Germanischen nachweisbar sind, aber dennoch, um zu einer
überzeugenden Deutung zu gelangen, des Baltischen bedürfen. Das betrifft etwa
wie bei Seinstedt die für den Ortsnamen anzusetzenden Wurzelerweiterungen,
die nicht im Germanischen, wohl aber im Baltischen belegt werden und so auch
für den jeweiligen Ortsnamen wahrscheinlich gemacht werden können.
4) Viertens gehören dazu auch wie bei Dolgen oder Üßngen germanisch
belegte Basen, die in der entsprechenden Ablautstufe ebenfalls nicht im Ger¬
manischen, sondern nur im Baltischen bezeugt sind.
Hier sei auch noch einmal betont, dass nicht nur die Hydronymie, sondern
in hohem Maß auch die Toponymie wertvolle Erkenntnisse über die baltisch¬
germanischen Beziehungen liefern kann und die Bedeutung des Baltischen für
die niedersächsische Ortsnamenforschung nicht zu unterschätzen ist.95 96
Aber auch das Slavische ist zu berücksichtigen. Slavica non leguntur -
,Slavisches liest man nicht‘ oder: ,Es lohnt sich nicht, Slavisches zu lesen‘,
ein Merkvers dieser Art bestimmte lange das Verhältnis der interessierten
Öffentlichkeit, der Germanistik und weiter Bereiche des wissenschaftlichen
Interesses Deutschlands gegenüber dem europäischen Osten, speziell zu des¬
sen slavischen Ländern, Sprachen und deren Geschichte. Viel intensiver hat
man sich in Deutschland etwa mit dem Keltischen befasst; noch heute zeigen
Leserbriefe an die großen Tageszeitungen, wie sehr die Öffentlichkeit von
dem Virus der ,Keltomanie‘ der zwanziger und dreißiger Jahre des 20. Jahr¬
hunderts durchsetzt war und heute zum Teil auch noch ist. Aber diese Ansicht
reicht auch bis in die wissenschaftliche Diskussion hinein. So heißt es etwa
bei Claus Jürgen Hutterer in einer Besprechung meiner Versuche: „Eine Aus¬
einandersetzung mit den kelt. Einflüsssen in den germ, Sprachen, die doch
eine alte Überlegenheit reflektieren, bleibt leider aus.“97
95 Ausführlich begründet von Schmid: „Baltische Gewässernamen“ (wie Anm. 1).
96 Hierzu vergleiche man auch Dini, Pietro U. und Udolph, Jürgen: „Slavisch-Bal-
tisch-Germanische Übereinstimmungen“ (wie Anm. 3). Weiteres findet sich bei
Casemir, Kirstin / Udolph, Jürgen: „Die Bedeutung des Baltischen für die nieder¬
sächsische Ortsnamenforschung“, in: Baitu onomastikos tyrimai. Gedenkschrift für
Aleksandras Vanagas, Vilnius 2007, S. 114-136.
97 Hutterer, Claus Jürgen: „Rezension zu: J. Udolph, Namenkundliche Studien zum
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