Anthroponymie verstanden werden. Aus all diesen Quellen gespeist ent¬
wickelt sich etwas Neues, Eigenständiges, das mehreren Traditionen ver¬
pflichtet und somit ,bi-‘ oder ,multikulturell‘ ist. Die Namen gehören gleich¬
zeitig verschiedenen onymischen Systemen an und können unterschiedliche
Denotationen und Konnotationen haben.
2.1. Die Erforschung onomastischer Interferenzen
Pionier auf diesem Forschungsgebiet war Leo Weisgerber (1968; 1969). Auf¬
grund der Hinweise von Johann Baptist Keune (1897) untersuchte er Namen,
die zwar lateinisch klingen, die aber keine Tradition in Rom selbst haben. Bei
genauerer Betrachtung stellte sich heraus, dass die meisten von ihnen ent¬
weder an keltische, seltener germanische, Namen anklingen oder deren Moti¬
ve übersetzen. Für den ersten Fall sei auf den Namen Dubius verwiesen, der
im Lateinischen ,Zweifelnder, Zögernder1 bedeutet, der aber offenbar durch
die verbreiteten keltischen dub(no)-Namen (,schwarz, dunkel, [Unterjwelf )
motiviert ist; DubnorixlDumnorix ,(Unter)weltsherrscheri dürfte durch
Caesars Gallischen Krieg am bekanntesten sein (DLG S. 151-153). Den
zweiten Fall illustrieren das häufige Ursus ,Bär‘ und seine Ableitungen, in
denen sich die Beliebtheit der keltischen Namen Artos ,Bär‘ mit Derivationen
widerspiegelt. Im frühen Mittelalter ist allerdings auch mit dem Einfluss des
geläufigen germanischen Elements -bera zu rechnen.
Später hat Fritz Lochner von Hüttenbach (1988; 1989) den Versuch unter¬
nommen, das onomastische Material des römischen Noricum, das ungefähr
dem heutigen Österreich entspricht, nach solchen bikulturellen Namen zu
durchsuchen. Er fand 78 von ihnen, die ca. 14 Prozent des Namenschatzes
dieser Region ausmachen.
In jüngster Zeit hat sich ein Kreis von Althistorikern um Monique Dondin-
Payre und Marie-Thérèse Raepsaet-Charlier (2001; dazu Coçkun 2003) um
diese Thematik verdient gemacht. Sie gehen über die Fragen der Bürgerrechts¬
entwicklung, welche althistorische Arbeiten zuvor dominierten, hinaus und
sind um vielfache Differenzierung der sprachlichen und onymischen Systeme
bemüht. Den Anteil von Interferenzen beziffern sie je nach Epoche und Re¬
gion auf 20 bis 70 Prozent. Sarah Forier (2001) hat sich in diesem Rahmen
mit den Tiernamen in der Gallia Narbonensis beschäftigt und auch das eben
genannte Bärenmotiv neu behandelt.
Im Jahr 2003 hat sich eine kleine Trierer Gruppe, der neben Altay Coçkun
und Lidia Kouznetsova auch der Verfasser angehört, mit Sprachwissenschaft¬
lern und Historikern aus Oxford und Madrid zum Netzwerk Interferenzono¬
mastik (Network for Intercultural Onomastics, NIO) zusammengefunden
(Coçkun/Zeidler 2005a; 2005b). Erste Ergebnisse wurden auf einem Round
Table im Februar 2005 in Trier diskutiert und auf der Website des Netzwerks
publiziert (http://www.nio-online.net). Der Schwerpunkt liegt auf den kelto-
romanischen Nameninterferenzen, die auch in ihrem historischen und lingu¬
istischen Kontext behandelt werden.
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