Einleitung
Interferenz-, Begegnungs- und Grenzräume nennt man solche Räume und Re¬
gionen, in denen Sprachen, Kulturen, Systeme aufeinander treffen, sich durch¬
mischen, gegenseitig beeinflussen oder abgrenzen. Im Spiel und Widerspiel
von Integration und Desintegration sind so im Bereich der Sprache polylingu¬
ale Räume, Sprachinseln, schließlich oft auch Sprachgrenzen entstanden, ha¬
ben sich ferner benachbarte Sprachen gegenseitig beeinflusst. So sind das
Französische und seine historischen und gegenwärtigen Dialekte (Pikardisch,
Wallonisch, Ostfranzösisch etc.) stark vom germanischen Fränkischen geprägt
worden, die mosellanischen und rheinischen Regionalvarianten (Dialekte) des
Deutschen, aber in vielen Fällen auch die erst seit dem 18. Jahrhundert präsente
Standardsprache stark vom Gallo-Romanisehen und später Französischen.
Solche Interferenz- und Begegnungsräume gibt es in ganz Europa, ja in der
ganzen Welt, besonders bedeutsam aber wurden sie für das Land in der Mitte
Europas, Deutschland, das mit zahlreichen anderen umgebenden Kulturen und
Sprachen in Kontakt stand. Die frühe Geschichte dieser Kontakträume, ihre
Erhaltung, Umwandlung bis hin zur Etablierung von Sprachgrenzen, daneben
auch die grenzüberschreitende Einflussnahme fremder Kulturen und Sprachen
innerhalb relativ geschlossener Kultur- und Sprachräume ist fast nur noch
durch Lehnwortforschung oder durch die Analyse von Namen, von Ortsnamen
(Toponymen) und Personennamen (Anthroponymen) zu rekonstruieren. So
erweist der Ortsname Nuglar (CH, Kanton Solothurn), 1152 Nugerols <
*Nucariölos ,bei den Nussbäumchen’ wegen Durchführung der romanischen
Sonorisierung (677. Jahrhundert) und wegen der Abwesenheit der althoch¬
deutschen Lautverschiebung [k] > [ch] (7. Jahrhundert), also zweier chrono¬
logisch eingrenzbarer, aus zwei verschiedenen Sprachen stammender Sprach¬
wandelerscheinungen, zusammen mit vielen anderen romanischen Relikt¬
namen die Kontinuität spätlateinischer Sprecher im Raum zwischen Ober¬
rhein, Basel und Solothurn und zudem ziemlich exakt den Zeitpunkt der
Integration in den bilingualen Interferenzraum der Basel-Romania. So zeigt
ferner der an der Sprachgrenze im Obereisass gelegene Ort Dannemarie (F,
Haut-Rhin), 823 Donna Maria bzw. deutsch Dammerkirch (< * Domina Maria
plus althochdeutsch -kirihha ,Kirche’) mit seinen bis heute existierenden
Doppelformen, die bereits im 778. Jahrhundert nach einem sonst nur in Ost-
und Zentralfrankreich gegebenen ekklesiogenen Ortsnamentypus (mit domina
,Herrin’ statt sancta ,Heilige’) entstanden, eine merowingische bilinguale
Kontaktzone an. Auch im Saar-Mosel-Raum finden sich diese typischen
Interferenzerscheinungen häufig. Zum Beispiel bezeugt der frequente
Flurname Macher aus lateinisch maceria ,Mauerwerk, Weinbergmauem’
(französisch maiziere, auch in vielen Toponymen) noch die alte okklusive k-
Aussprache des Lateins vor dem 7. Jahrhundert - so wie die Lehnwörter Kirkel
< circulus ,Kreis’, Kermeter < coemeterium ,Friedhof - und zugleich die
Germanisierung mit Lautverschiebung [k] > [ch] ungefähr im 7. Jahrhundert.
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