Hitlers Weltanschauung verweist: Seit 1905 gab ein ehemaliger österreichischer
Mönch mit dem Namen Jörg Lanz von Liebenfels eine Heftreihe mit dem Titel
"Ostara" heraus, nachdem er vorher schon einschlägig vulgärwissenschaftlich
aktiv gewesen war. Diese "Ostara, Zeitschrift für Blonde" war dann ab 1909 eine
besonders motivierende Lektüre für Hitler: Einen Teil seines pseudowissen¬
schaftlichen Weltbildes bezog der damals 30jährige ohne Zweifel hierher.
Ein Werk aus dem Jahre 1902 ist aber in unserem Kontext wegen seiner Fern¬
wirkung noch ausdrücklich zu erwähnen: die große ethnologische Studie des
damals 39jährigen Heinrich Schurtz mit dem Titel "Altersklassen und Männer¬
bünde". Einer der neben Alfred Rosenberg wichtigsten späteren NS-Philoso-
phen. nämlich Alfred Baeumler, hat es um 1930 als ein ganz "unvergleichliches
Buch" charakterisiert, weil es ein Grundgesetz menschlichen Zusammenlebens
erstmalig aufgedeckt habe, ein Gesetz, dessen Erkenntnis ein bedeutsamer
Fortschritt und die Voraussetzung zur gerechten Lösung eines tiefen mensch¬
lichen Konfliktes gewesen sei - womit der Autor den "kaum überbrückbaren
Gegensatz zwischen Mann und Weib" meinte.
Bei Schurtz ist die gesamte spätere NS-Mannerbundideologie quasi
wissenschaftlich-ethnologisch vorbereitet. Sie sollte dann die großen NS-Ver-
bände von der HJ bis zur SS und SA bestimmen, nämlich die massive Ent¬
gegensetzung des weiblichen Familientriebs auf der einen und des mann-männ¬
lichen Geselligkeitstriebs auf der anderen Seite, eines Triebs, aus dem letztlich
alle höheren sozialen Verbände entständen - bis hin zum Staat! Deshalb sei - so
Schurtz - die männliche Liebe zum Weibe für den Mann immer nur eine Episode!
Wörtlich: "Hier liegt ein tiefer, kaum überbrückbarer Gegensatz zwischen Mann
und Weib, der sich in tragischen Konflikten äußern kann, aber auch das Treiben
des Alltags durchzieht und in Deutschland vorwiegend in dem ewigen Zwie¬
spalt zwischen Stammtisch und Familienleben auftritt, um im Kampf um den
Hausschlüssel den Gipfel kleinlicher Komik zu erreichen".
Männer und Frauen folgten also demnach letztlich zwei völlig entgegenge¬
setzten Arten von Moralgesetzen - so lautet zugespitzt das ethnologisch-wissen¬
schaftliche Fazit von Schurtz' Buch, das Alfred Baeumler dann - nachdem
Schurtz' "Lehren" schon vor und besonders dann nach dem Ersten Weltkrieg
vielfältig aufgegriffen worden waren - als Grundlage seiner männerbündischen
Appelle und Entwürfe herangezogen hat: Die den wahren Fortschritt lähmende
bürgerliche Lebensform und stark vom jüdischen Geist geprägte moderne Mas¬
senzivilisation seien, so Baeumler, der aktuelle, höchst bedrohliche Gegner, den
die soldatischen Männerbünde überwinden müssten, und er kam bereits um
1930 zu dem Schluss: Sollte die Erzeugung jenes "heroischen Enthusiasmus"
beim jungen Mann nicht gelingen, dann bestehe in Deutschland die Gefahr,
dass dieser "zum nüchternen Geschäftsmann, zum Weiberknecht oder zum
versimpelten Familienvater" verkommen werde. Dies sei "der Verderb des Gan¬
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