Full text: Forschungsaufgabe Industriekultur

Zur Definition der Industriefotografie 
Von der Hochindustrialisierung bis zu den dreißiger Jahren 
Clemens Zimmermann 
Formen und Funktionen offizieller, "klassischer” Industriefotografie 
Industriefotografien sind als "mechanisierte Bilderstellung und durch ihre 
Reproduzierbarkeit selbst Teil der Industrialisierung".1 Einerseits gehören sie zu 
den hervorragenden Informationsträgern einer Archäologie der Industriekultur 
und zu den unentbehrlichen Quellen für die Rekonstruktion historischer Sozial¬ 
beziehungen, weil sie eine Wirklichkeit beobachtbar machen, die man allein mit 
schriftlichen Quellen nicht sehen kann; allerdings erschließt sich ihr Sinngehalt 
erst aus genauer makro- wie mikrosozialer Kontextuierung der Objekte, wozu 
wiederum Schriftquellen nötig sind. Insofern ist der "dokumentarische" Charak¬ 
ter der Industriefotografie ebenso unbestreitbar wie von revolutionärer Qualität 
hinsichtlich des erweiterten Quellenkorpus, der einer Wirtschafts-, Sozial- und 
Kulturgeschichte der Industrialisierung zugrunde liegt. Andererseits war die 
Industriefotografie (und ist es noch) eine Repräsentationsform, die trotz ihres 
Objektivitätsanspruchs durch die Wahl von Ausschnitten und Augenblicken, 
durch Beleuchtung, Arrangieren von Maschinen und Menschen, durch tech¬ 
nische Bedingungen (Belichtungszeit, aber auch technische Experimente mit 
dem neuen Medium und nachträgliche Bearbeitung der Bilder) und nicht zuletzt 
aufgrund der vielfach unreflektiert übernommenen Bildtraditionen aus der 
Malerei und Grafik eine perspektivierte Sicht des Abgebildeten darstellt. Die 
Industriefotografie, obwohl sie ihren sachlichen Charakter betont, ist so mehr als 
dokumentarisch, sie ist nicht einfach "wahr", nicht einfach ein Abbild des 
Dargestellten. 
Nun gilt Letzteres für jedes fotografische Genre, insofern ist näher nachzufragen. 
Die "systematische Industriefotografie", von der zunächst die Rede sein soll, die 
in der Regel auf Großunternehmen beschränkt blieb und etwa mit den 1870er 
Jahren einsetzte, war historisch durch vier Eigenschaften gekennzeichnet. Zum 
Ersten waren, Jahrzehnte hindurch, bei Aufnahmen in Innenräumen lange Be¬ 
lichtungszeiten nötig; Bewegungen konnten deshalb kaum wiedergegeben 
werden. Dies verleiht den Aufnahmen etwas von dem Starr-Monumentalen, das 
auch der frühen Architektur- und Stadtfotografie zu eigen ist. Zum Zweiten 
waren die Fotografen für die Belegschaftsmitglieder sichtbar, und auf diese 
Sichtbarkeit, d.h. die Beobachtungssituation reagierten sie, d.h. es lag eine 
interaktive Situation vor, selbst wenn diese von den Auftraggebern in der Regel 
1 Reinhard Matz, Industriefotografie. Essen 1987, S. 13. 
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