wohnten Form in Lothringen erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts anzutreffen.
Jetzt beschleunigte sich die Industrialisierung in dieser insgesamt noch sehr
landwirtschaftlich geprägten Region, in der das Wachstum der Landbevölke¬
rung seinen Höhepunkt erreicht hatte. Zudem erfolgte diese Industrialisierung
größtenteils außerhalb der bescheidenen und oft von Stadtmauern eingeschnür¬
ten Städte. Die Orte, an denen industrielle Aktivitäten bereits existierten oder
begannen, vermochten die zusätzliche Bevölkerung nicht aufzunehmen. Das gilt
etwa für Mouterhouse im Osten des Departements Moselle, einem besonders
guten Beispiel: 1817 beschäftigte die Hütte von Mouterhouse 500 Arbeiter bei
587 Dorfbewohnern in 31 Häusern; 1844 wohnten 596 Menschen in 36 Häu¬
sern, im Mittel stieg die Bewohnerzahl je Haus von 16 auf 16,5. Künftige große
Industrieorte wie Algrange oder Joeuf zählten 1844 nur 341 bzw. 220 Ein¬
wohner. In Ars-sur-Moselle wurden die Schwierigkeiten der Unterbringung der
Arbeiter besonders deutlich: Ursprünglich ein vom Weinbau geprägter Markt¬
flecken des Metzer Landes am Fuß der Hügel der Mosel, erfuhr das Dorf in
wenigen Jahren - neben anderen Aktivitäten - die Entwicklung von zwei Metall¬
unternehmen mit den Firmen Dupont et Dreyfus sowie Karcher et Westermann;
die Bevölkerung stieg 1841-1855 von 1453 auf 3200 Einwohner, ein Wachs¬
tum von 120% in 15 Jahren. "Ars-sur-Moselle verfügt nicht über eine hinrei¬
chende Zahl von Unterkünften, um seine neue Arbeiterbevölkerung unter
gesunden und bequemen Verhältnissen unterzubringen"1, schrieb 1854 der
Präfekt des Departements Moselle an den Minister für Landwirtschaft und öffent¬
liche Arbeiten. Die Situation verschlechterte sich dementsprechend. Einige
Monate später schrieb der Bürgermeister dem Präfekt, dass die Wohnbedingun¬
gen Anlass zu Sorge gäben: "... man sieht Backstuben mit Öfen, ja sogar Keller
und Ställe, in denen Arbeiter zu einem hohen Preis Unterkommen. Ich kenne ein
Zimmer, in dem drei Familien, Eltern und Kinder, insgesamt 12 Personen, alle
gemeinsam schlafen."2 Aufgrund der Choleragefahr befasste sich die Verwaltung
mit dem Problem, fand jedoch keine rechte Lösung - obwohl gegen Ende des
19. Jahrhunderts der Wohnraummangel am offensichtlichsten war und die
rasante Industrialisierung in einem Umfeld erfolgte, in dem der seit Jahrhundert¬
mitte kaum weiterentwickelte private Wohnungsmarkt der Nachfrage nicht
gewachsen war. Algrange wuchs 1875 bis 1890 von 364 auf 1943 Einwohner,
nachdem die ersten Gruben Anfang der 1880er Jahre niedergebracht worden
waren; vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges waren fast 10.000 Einwohner
erreicht. Audun-le-Tiche an der luxemburgischen Grenze hatte 1890 1798
Einwohner, 1900 waren es 4780. Am schnellsten wuchs Hagondange, zu
Beginn des 20. Jahrhunderts ein kleiner Flecken im Moseltal mit gerade 500
Einwohnern: die Ansiedlung der Thyssen-Werke 1910 ließ die Bevölkerungs¬
zahl emporschießen, von 1727 auf über 5000 im Jahr 1914. Ähnlich ließ im
1 Cités ouvrières, Ars-sur-Moselle (ADMos 273 M 2).
2 Brief vom 24.5.1855 (ADMos 273 M 2).
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