Entwicklungsbedingungen gewerkschaftlicher Interessen¬
vertretung im Kontext der besonderen politischen Verhältnisse im
Saarrevier nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg
Hans-Christian Herrmann
Einleitung
Drei Faktoren scheinen für die gewerkschaftliche Entwicklung an der Saar in
besonderer Weise bestimmend gewesen zu sein:
- eine Sozialstruktur mit überdurchschnittlich hohem Katholikenanteil
- die zweimalige Abtrennung vom Deutschen Reich nach dem Ersten und
Zweiten Weltkrieg und die sich daraus ergebende Überlagerung der politi¬
schen Kultur mit nationalen Denkmustern
- ein patriarchalisches Unternehmertum; dieser Faktor soll hier nicht näher
erörtert werden, da er vor allem für die Zeit vor 1914 relevant gewesen ist.
Betrachtet man die Entwicklung der saarländischen Gewerkschaften, so fallt vor
allem die starke Position der christlichen Gewerkschaften auf. Im Unterschied
zum übrigen Deutschland waren christliche Gewerkschaften lange Zeit die
bestimmende gewerkschaftliche Richtung und konnten sich bis weit in die
Nachkriegszeit im Vergleich zu den christlichen Verbänden im übrigen Deutsch¬
land auf eine überdurchschnittliche Mitgliederzahl stützen. Erst in den 1960er
Jahren verloren sie an Bedeutung. Dies erklärt auch die verspätete Etablierung
von Einheitsgewerkschaften an der Saar. Erst 1966, 17 Jahre nach Gründung
des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), ging die Gewerkschaft Christlicher
Bergbau- und Energiearbeiter (GCBE) in der Industriegewerkschaft Bergbau und
Energie (IGBE) auf.
Sozialstruktur, christliche Gewerkschaften und Einheitsgewerkschaft
Die Gründung des Deutschen Gewerkschaftsbundes am 12. Oktober 1949
markiert einen tief greifenden gewerkschaftlichen Veränderungsprozess. Anstelle
von personal orientierten Berufsverbänden bildeten sich betrieblich orientierte
Industriegewerkschaften, anstelle weltanschaulich konkurrierender Richtungs¬
gewerkschaften trat nun eine Einheitsgewerkschaft. Für Gewerkschafter wie
Jakob Kaiser oder Wilhelm Leuschner war die Einheitsgewerkschaft nach der
Zerschlagung der Gewerkschaften im Dritten Reich ein Gebot der Stunde und
Ergebnis einer Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte. Unter dem Dach
des DGB formierten sich ab Oktober 1949 die Industriegewerkschaften der
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