Geschlechts innerhalb der Fabrik untersagt."108 * Um die Gelegenheiten geselligen
Beisammenseins ihrer minderjährigen Arbeiterinnen und Arbeiter zu minimieren,
verfügte die Druckerei der Neuen Saarbrücker Zeitung unterschiedliche Pausen¬
zeiten für die weiblichen und männlichen Jugendlichen.100 Die Saarbrücker
Papierfabrik F. Maas & Sohn sah 1902 in ihrer Arbeitsordnung im Falle "eines
liederlichen Lebenswandels" die Kündigung vor. Ein Rausschmiss drohte auch
denjenigen, die "Familienangehörige des Arbeitgebers oder seiner Vertreter oder
Mitarbeiter zu Handlungen verleiten oder zu verleiten versuchen oder mit Fa¬
milienangehörigen des Arbeitgebers oder seiner Vertreter Handlungen begehen,
die wider die Gesetze und die guten Sitten verstoßen."1111 Diese Anordnung
spiegelt in entlarvender Weise die Furcht des Bürgertums - das seit dem
19. Jahrhundert die moralischen Standards vorgab - vor der als sittlich minder¬
wertig angesehenen Arbeiterbevölkerung wider. Die Wirklichkeit sah aber meist
anders aus, denn nicht wenige Arbeiterinnen waren sexuellen Belästigungen
durch Fabrikherren und Vorarbeiter ausgesetzt.111
Was die gesundheitliche Gefährdung der Arbeiterinnen angeht, hatten sie unter
den gleichen Unzulänglichkeiten der Produktionsbedingungen wie die Männer
zu leiden. Dazu gehörte zu Beginn des Untersuchungszeitraums der allgegen¬
wärtige Lärm der Maschinen, der ihnen entweichende Ruß und Rauch. Der
Staub, der vor allem in der Textilindustrie und bei der Steingutfabrikation in
gesundheitsgefährdendem Ausmaß anfiel, führte häufig zu Lungenerkrankun¬
gen. ln Gersweiler, wo sich von 1846-1901 die Steingutfabrik der Familie
Schmidt befand, war dieses Phänomen unter dem Namen "Dipp'sches-
macherkrankheit" bekannt.1,2 Eine im Jahr 1877 durchgeführte Enquête zur
Frauen- und Kinderarbeit notierte für den Regierungsbezirk Trier, dass es nur
wenige Bereiche gäbe, wo die Einwirkung der Fabrikarbeit auf die Arbeiterinnen
überhaupt nicht bemerkbar geworden wäre: "Es soll ferner die Beschäftigung der
Arbeiterinnen in den Steingutfabriken mit Rücksicht auf die darin stattfindenden
unvermeidlichen Staubinhalationen sowie auf das Einatmen von feuchter Luft
von absoluter Schädlichkeit für den weiblichen Organismus sein und Frauen¬
krankheiten wie Blutschwäche, Bleichsucht u.s.w. erzeugen." Eine kürzere
Lebensdauer dieser Arbeiterinnen und eine außergewöhnliche Sterblichkeit der
Kinder sei ebenfalls beobachtet worden."’ Ein Gewerbeinspektor berichtete
108 Arbeitsordnung von 1892 (StadtAS St. Johann Nr. 990).
109 Arbeitsordnung von 1896 (StadtAS St. Johann Nr. 990).
no Arbeitsordnung von 1902, § 14, Absatz 2 und 7 (StadtAS St. Johann Nr. 990).
111 Vgl. Carola Lipp, Sexualität und Heirat, in: Die Arbeiter. Lebensformen, Alltag und
Kultur von der Frühindustrialisierung bis zum "Wirtschaftswunder", hrsg. von Wolfgang
Ruppert. München 1986, S. 186-197, hier S. 189.
1.2 Nimmesgem (Anm. 16), S. 15.
1.3 Ergebnisse der über die Frauen- und Kinderarbeit in den Fabriken auf Beschluß des
Bundesrats angestellten Erhebungen, zusammengestellt vom Reichskanzleramt. Berlin
1877, S. 38, 41.
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