Gegenüber einer Teilnahme am für August 1914 geplanten ersten internationalen
Arbeiter-Turn- und-Sportfest in Herstal (Belgien) zeigte sich der ATB zunächst
ebenfalls reserviert, unter anderem, weil dort, entgegen den Bestimmungen im
eigenen Verband, Wertpreise verliehen werden sollten. ' Letztlich rief der ATB-
Vorstand aber seine Vereine auf, sich zu beteiligen, um im Ausland "dem deut¬
schen turnbrüderlichen Geist Ausdruck zu verleihen"75 76 78 - ein Zeugnis auch für
die Existenz einer "turnerischen Identität" innerhalb der Arbeitersportbewegung.
Zuvor schon hatten sich in die Berichterstattung der ATZ über die Olympischen
Spiele von Stockholm 1912 (im Gegensatz zur Sportrubrik in "L'Humanité", die
dieses Ereignis bewusst ignorierte) sogar eindeutig patriotische Sentimentalitäten
eingeschlichen.”
Nimmt man die mehr zum Nationalismus als zum Internationalismus tendierenden
Äußerungen in der ATZ zwischen 1912 und 1914 zum Maßstab, so erhärtet
sich die Feststellung eines zurückgehenden klassenkämpferischen Impetus im
ATB und deutlicher Tendenzen der Anpassung an das wilhelminische System
während der letzten Jahre vor dem Ersten Weltkrieg. s Die offiziellen Diskurse
stimmten so in zunehmendem Maße mit einer zwar nicht vollkommen unpoliti¬
schen, jedoch kaum von primär klassenkämpferischen Zielen geleiteten Grund¬
haltung der Mitgliedschaft überein. "Trotz ihrer (erzwungenen) Gegnerschaft zum
wilhelminischen System trugen politische und sportliche Positionsbestimmun¬
gen von Arbeitersportlern oftmals Züge, die eher als Streben nach Anpassung
und Gleichberechtigung denn als Streben nach revolutionärer Machtergreifung
interpretiert werden müssen", stellte hierzu Teichler fest.
Schlussbetrachtungen
Bei der Gründung der deutschen Arbeiterturnbewegung wie auch der französi¬
schen Arbeitersportbewegung lagen jeweils handfeste politische Motive vor; die
reaktionären Positionen der Deutschen Turnerschaft hier, die antirepublikanische
und antisozialistische Haltung der katholischen FGSPF dort, gaben den ent¬
scheidenden Anlass. Die Verhaltenweisen der am Sport interessierten Arbeiter
waren jedoch verschiedenartig, sie erreichten weder in Frankreich noch in
Deutschland eine klassengebundene Homogenität. Für einen Teil der Arbeiter
mag die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Milieu den Ausschlag gegeben
haben, wobei es sich aber insbesondere in Frankreich nicht zwangsläufig um ein
Arbeitermilieu handelte, das sich über die Affinität zur Arbeiterbewegung de-
75 ATZ, 1.3.1914.
76 ATZ, 7.3.1914.
77 ATZ, 15.8.1912.
78 Vgl. Heinz Timmermann, Geschichte und Struktur der Arbeitersportbeweaung. Ahrensburg
1973, S. 27-28.
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